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Archiv-Artikel

Genuss und Demokratie

Tapas sind die Demokratisierung des Luxus. Ob Unternehmer oder Putzfrau – den delikaten Geschmack einer Garnele von der Atlantikküste können sich alle leisten. Die einen essen einen ganzen Teller, die anderen leisten sich eben eine Tapa

von ULRIKE FOKKEN

Die Cervecería Giralda hinter der Kathedrale und dem Turm La Giralda, dem Wahrzeichen der Stadt Sevilla, hat das Ambiente heißer Sommernächte: Marmorfußböden, arabischer Stuck, und durch die Fensterflügel zieht es. An der hölzernen Theke mit dem Messinghandlauf lässt sich vortrefflich stehen und während des Essens gestikulieren. Hier hat man einen guten Überblick über die Liste der Tapas, die ein wesentlicher Grund für den Besuch der Cervecería sind. Der andere Grund ist nicht minder sevillanisch: Dort beginnt eine klassische Tapa-Runde am Abend.

Tapas haben zwar ihren Siegeszug durch Europa angetreten, aber die Hauptstadt der Tapa ist Sevilla. Die Stadt ist seit dem Mittelalter berühmt für ihre ausgefallene Küche, und in den Herrschaftshäusern von Kairo und Damaskus raunte man sich damals bewundernd zu: „Wer in Sevilla Vogelmilch bestellt, bekommt sie auch.“ Und in der Tat sind der Kreativität der Köche keine Grenzen gesetzt. Da die Sevillanos die kleine Mahlzeit zu einem Glas Wein oder Bier zum Hauptgang am Abend erhoben haben, müssen sich die Sevillaner Köche ständig neue Kreationen ausdenken. Denn schließlich liebt ihre Kundschaft den Genuss und die Sinnenfreude.

„En Sevilla no se come, se tapea“, heißt es: In Sevilla speist man nicht, man isst Tapas. Die kleine Köstlichkeit, die ebenso aus einem Seeigel wie aus einem Schweinefilet mit zerlaufenem Ziegenkäse bestehen kann, schmeichelt dem Gaumen gerade lang genug, bis ein Schluck Wein oder Sherry den Geschmack vervollkommnet hat.

„Tapas sind die Demokratisierung des Luxus“, sagt Domingo Valenciano, Feinschmecker und Restaurantkritiker, und hält mit gespreizten Fingern eine Garnele hoch. Denn ob Unternehmer oder Arbeiter, Gräfin oder Putzfrau – den delikaten Geschmack einer Garnele aus Sanlúcar de Barrameda an der nahen Atlantikküste können sich alle leisten. Die einen essen vielleicht einen ganzen Teller von der Köstlichkeit, die anderen leisten sich eben eine Tapa. Und zum tapear gehört auch, dass mehrere Bars besucht werden.

Wer etwas ganz Besonderes sucht, geht quer durch die Stadt in die Alameda, in der Calle Eslava findet sich die Eslava Bar. Ab 21 Uhr stehen hier die Besucher in zweiter Reihe an der schmalen Bar und die an der Theke Sitzenden reichen die Teller mit gebeiztem Fisch, gebratenen Sardellen und den glänzenden Streifen Schinken von den schwarzen Schweinen der Sierra de Huelva nach hinten durch. Da zu jedem anständigen andalusischen Menü ein Dessert gehört, können die Gäste im Eslava auch zwischen hausgemachten Eiscremes, Flans und Cremes wählen – selbstverständlich in der Größe einer Tapa.