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Archiv-Artikel

„Auf Ullas Reform reimt sich dummdreist enorm“

Sie sind die letzte Hoffnung des deutschen HipHop. Seit die Beginner mit „Bambule“ die Charts stürmten, geben sich Totenredner auf den deutschen Rap kleinlauter. Die neue Platte aber ist zum Erfolg verdammt. Das hält die drei von auffällig politischen Texten keineswegs ab

„Ob wir den HipHop retten, ist scheißegal. Es geht darum zu zeigen, Rap aus Deutschland kann geil sein“

Interview THILO KNOTT und ANSELM WORTHIK

taz: Herr Eißfeldt, was reimt sich auf Gesundheitsreform?

Nachdenkliches Schweigen

Eizi Eiz: Dummdreist enorm.

Wäre die Gesundheitsreform denn ein möglicher Rap-Inhalt, oder ist so ein Thema zu unsexy?

Eizi Eiz: Nö, käme darauf an, wie man es einsetzt. Das ist jetzt ein bisschen doof, aber man könnte reimen: Yo, hier ist Eizi Eiz, ich bin dummdreist enorm, und deshalb hassen mich alle mehr als Ulla für die Gesundheitsreform. Heißt die überhaupt Ulla?

DJ Mad: Ja, Ulla Schmidt.

Eizi Eiz: Aber stimmt schon, das ist nicht unbedingt ein Thema, um sich auf der Straße Respekt zu verschaffen.

Wäre denn die Agenda 2010 eher ein Thema?

Denyo: Wörter wie Gesundheitsreform oder Sozialreform würde man niemals verwenden. Man würde mit dem normalen Slang und unterhaltenden Reimen versuchen, darauf aufmerksam zu machen, dass in zehn Jahren hier Zustände wie in Amiland herrschen werden.

Eizi Eiz: Man rappt, wie man spricht. Wir würden uns ja auch nie über „Die Gesundheitsreform“ unterhalten, sondern sagen: Die dumme Fotze, was fällt der eigentlich ein, dass die hier alles kürzt, nur noch die Leute blechen lässt und die Ärzte sind fein raus. Man will doch nicht die Leute erreichen, die das alles eh schon wissen.

Es ist also kein Thema zu sperrig, dass man es nicht in Reime fassen könnte?

DJ Mad: Nein, wenn einen das Thema selbst betrifft …

Eizi Eiz: … und der Reim dabei gut ist. Das ist sehr wichtig. Wenn du das derb wichtigste Thema hast, das dir auf der Seele brennt, aber wenn dir keine geilen Reime dafür einfallen, dann lässt du es lieber bleiben. Erste Prämisse ist immer, dass man unterhalten will.

Denyo: Sonst macht es auch keinen Sinn. Man muss es einfach halten, das ist schließlich Musik. Sonst kann man ja Zeitung lesen. Ein Hit hat keine Seite 3.

Da stößt man an Grenzen?

Denyo: Ja, man hält es zwangsläufig für naiv, aber dafür ist viel mehr Herz und Soul drin. Aber das ist doch in Ordnung: Einmal kann man den analytischen Zeitungsartikel lesen und dann den Song, der dasselbe auf eine andere Weise ausdrückt. Wenn man ein Ideal hätte, das über der Qualität der Musik stünde, dann wäre die Musik wertlos. Es wird einem doch nur zugehört, wenn das Ganze unterhaltsam, rund und schön und warm ist. Oft wird gar nicht mehr gesagt als: Das nervt mich. Aber das kann ein Denkanstoß sein.

Gerade HipHop hat traditionell eine weiter gehende Funktion. Für Chuck D von Public Enemy war HipHop der CNN des schwarzen Mannes.

Eizi Eiz: Hat sich die taz diesen Satz eigentlich patentieren und sichern lassen?

Nicht dass wir wüssten.

Denyo: Politik ist für einen Schwarzen in den USA eine Alltagssache. Letzten Endes gibt es für die Kids hierzulande keine so krassen Probleme. Noch nicht. Das sieht in zehn Jahren vielleicht schon wieder ganz anders aus, wenn das Land komplett verschuldet ist und 20 Millionen arbeitslos sind. Noch ist das alles zu weit weg, so etwas wie die Gesundheitsreform. Noch sind nicht 10.000 Kinder gestorben, weil ihre Eltern kein Geld hatten, um irgendwelche Therapien zu bezahlen. Ab dann wird Politik konkret und ab da würden sich auch die Stimmen erheben.

Die Politikverdrossenheit, die Ihrer Generation gerne nachgesagt wird, hat also vornehmlich mit den Umständen zu tun?

Eizi Eiz: Auf jeden Fall.

Denyo: Das ist doch menschlich, man guckt nicht über den Tellerrand, jedenfalls nicht gefühlsmäßig. Wirklich wichtig wird es erst, wenn es einen selbst betrifft.

Warum habt ihr dann immer wieder politische Songs geschrieben?

Denyo: Bei mir hat es sicherlich etwas mit meiner Hautfarbe zu tun. Ich habe Public Enemy gehört, weil Chuck D schwarz war wie ich, und darüber bin ich zum HipHop gekommen und zu den linken Texten. Damals war HipHop generell nah dran an der linken Kultur. Das waren die eher naiven Zeiten in der Pubertät, in denen man in der Antifa ist und meint, Steine schmeißen zu müssen. In denen man Anarchist ist und meint, Geld sei nichts wert und alle sind gleich. Irgendwann kriegt man dann mit, die Typen sind genauso verspießt, und die Ellbogengesellschaft, die sie anprangern, existiert bei ihnen im Kleinen genauso. Da war schnell klar, da wollen wir wieder raus. Aber trotzdem vergisst man nicht seine Herkunft, seine Haltung und auch seine Verantwortung gegenüber den Kiddies. Denen möchte man vielleicht dann doch mitgeben: Ey, du brauchst nicht die Banklehre zu machen und du musst auch nicht BWL studieren, nur weil die Frauen in deinem Alter das cool finden. Denn die finden das auch nur cool, weil sie Allegra lesen.

War das Projekt linker HipHop von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Eizi Eiz: Das Problem mit dem deutschem HipHop war damals in der Zeit, in der man sich an linken Idealen orientiert hat und es durch die Anschläge auch Not tat, dass damals noch nicht so lange gerappt wurde auf Deutsch. Die Raps klangen unbeholfen und verkrampft. Zudem wurden noch die ganzen expliziten politischen Ausdrücke verwendet. Das klang alles Scheiße, wir ja auch. Deshalb hat sich das nie anderen Hörerschichten erschlossen und wurde nur von denen gehört, die eh den ganzen Tag nur linke Aufsätze gelesen, linke Filme gesehen und linke Kunst geguckt haben. Deshalb ist es in dem kleinen Fundamentalisten-Käfig drin geblieben bei den Leuten, die genau so viele Regeln und Dogmen aufstellen wie die, die es eigentlich zu bekämpfen gilt.

Woran liegt es, dass afro-deutsche Rapper wie D-Flame oder Afrob gerade dann kommerzielle Flops landeten, als sie explizit politische Alben herausbrachten?

Denyo: Denen fehlt das Deutsch-Kompatible. Afrob ist schon von der Hautfarbe her zu schwarz. Natürlich musst du gut sein, einen gewissen Pop-Appeal haben, aber vor allem musst du so aussehen, dass du die Leute nicht verschreckst.

Die Türken blieben aber im Gegensatz zu schwarzen Deutschen bei der Kommerzialisierung des deutschen Rap außen vor. Sind also Afro-Deutsche deutscher als Deutsch-Türken?

Denyo: In dem Buch „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ wird die Geschichte eines Schwarzen beschrieben, der während des Zweiten Weltkriegs in Hamburg aufgewachsen ist. Um ihn herum kamen alle ins KZ, jeder Jude, jeder Schwule. Nur er nicht, obwohl er farbig war, denn er war weniger als eine Minderheit, und selbst eine Minderheit hat Macht. So läuft das mit den Afro-Deutschen heute noch: Klar spürt man Rassismus, oft auch positiven Rassismus. Aber die Türken werden als echte Bedrohung empfunden.

Auf der neuen Platte findet sich ein Song wie „Schily-Schill Bäng Bäng“. Warum sind die Beginner wieder politischer geworden?

Eizi Eiz: Nicht politischer, nur expliziter.

Warum sind sie expliziter geworden?

Denyo: Das entscheidet man nicht, das kommt aus dem Bauch raus. Wenn man eine Möglichkeit findet, das so zu erzählen, dass es Spaß macht, dass man es drei-, viermal hören will, weil man noch nicht alles gecheckt hat, weil es schöne Bilder sind, dann hat niemand was dagegen. Ansonsten wird es schnell typisch deutsch verkopft.

Liegt diese Tendenz zur Verkopfung in der deutschen Sprache begründet?

Denyo: Das hat damit zu tun, dass man hier immer nur adaptiert und kopiert. Und es aus einer ganz anderen Motivation herausmacht. In Amerika ist es doch so: Das Talent, das entdeckt, es kann rappen, wittert die Chance, aus seinem Scheißghetto rauszukommen. Dadurch ist der natürlich viel näher am Leben, viel authentischer und kraftvoller. Natürlich wollen wir auch möglichst gut rappen, aber das ist doch letzten Endes nur eine Luxusentscheidung. Ein Phänomen wie die Beginner kann nicht mal ansatzweise so viel Kraft und Würde haben wie der US-Rapper 50 Cent, der sich wahrscheinlich nicht einen Gedanken macht, was er da jetzt gerade rappt. Die Person 50 Cent an sich erzählt einfach schon eine Geschichte, einfach dadurch, dass sie da ist. Die machen das aus dem Bauch raus, wir feilen zwei Jahre. Die Alben klingen vielleicht qualitativ gleich, aber trotzdem wird das eine immer erste Liga sein und wir immer zweite Liga.

Eizi Eiz: Das liegt natürlich auch am Bildungsstand. Hier hat jedes Kind, egal woher es kommt, mehr Möglichkeiten, gefördert zu werden.

Das heißt also: Wenn die Bildungsmisere sich weiterauswächst, dann haben wir irgendwann hier richtig guten HipHop?

Eizi Eiz: Ja, auf jeden Fall.

In dem Song „Scheinwerfer“ diagnostizieren Sie, Deutschland liege „im Dunklen“.

Denyo: Wir beschreiben, was passiert, wenn das Nachtleben beginnt, der Alkohol fließt und der wahre Charakter enthüllt wird.

Wie sieht er aus, dieser wahre Charakter?

Denyo: Dumm und aggressiv und mit Alkohol betäubt. Eine gefährliche Mischung.

War das schon immer so oder ist das ein Zeichen der Zeit?

Eizi Eiz: Das ist seit der Nazizeit so. Vorher gab es durchaus Zeiten, in denen sich Deutschland nicht wie jetzt über Generationen selbst verseucht hat. Wenn man sich reinzieht, was früher hier gegangen ist, wie viele krasseste Wissenschaftler, Filmemacher, Schauspieler, Musiker, Regisseure, Theaterleute aus Deutschland kamen, die weltberühmt und groß waren, dann kann man sich vorstellen, dass es hier schon mal freigeistiger zugegangen sein muss als heutzutage.

Wer wird das Licht wieder anmachen?

Eizi Eiz: Manche haben eben einen „Scheinwerfer“. Man darf die Hoffnung nie aufgeben, sonst wäre man auch nicht besser.

Kann Musik da eine Rolle spielen?

Eizi Eiz: Mit HipHop hat man zumindest die Möglichkeit zu sagen: Ich kann auf euch alle scheißen und euch sagen, was Scheiße an euch ist und warum ihr in der Scheiße sitzt.

Die Leute kaufen Ihre Platten, um sich beschimpfen zu lassen?

Denyo: Das gibt es auch. Wenn plötzlich ein getunter Golf GTI neben einem hält, drin sitzt ein Proll mit Goldkettchen, und aus den Boxen dröhnt man selbst, dann fängt man schon an nachzudenken. Wenn du merkst, dass bestimmte Leute deine Musik hören, mit denen du nichts zu tun haben willst, dann darfst du die auch beschimpfen. Wenn die das trotzdem hören, dann kannst du dir ins Fäustchen lachen. Aber natürlich ist es nicht das Ziel, die zu beschimpfen, die einen hören, sondern ihnen deine Haltung zu zeigen.

Trotzdem sind Sie so erfolgreich mit deutschem HipHop wie sonst nur die Fantastischen 4.

DJ Mad: Wenn man über so etwas nachdenken müsste, dürfte man gar keine Platten mehr machen. Wenn wir gewusst hätten, was „Bambule“ für die Industrie bedeutet, was die damit anstellt und was die Platte initiiert hat, dann hätte man die besser gar nicht rausgebracht.

Die großen Major-Plattenfirmen werden sehr genau beobachten, wie Ihre neue Platte läuft. Wenn sie kommerziell versagt, ist deutscher HipHop für die erledigt.

DJ Mad: Dann wäre jeder Effekt, den diese Platte haben könnte, ein positiver. Wenn’s abgeht, haben wir wieder Geld und können noch eine Platte machen. Wenn’s nicht abgeht …

Eizi Eiz: … kann keiner mehr eine Platte machen.

DJ Mad: Aber dann kann die Industrie HipHop auch nicht weiter in die Scheiße reiten.

Denyo: Ob wir den HipHop retten, ist mir scheißegal. Es geht darum, den Leuten wieder zu zeigen, Rap aus Deutschland kann auch geil sein.

DJ Mad: Von irgendwelchen Controllern in Plattenfirmen wird ja momentan gerne erzählt, HipHop ist durch, das Ding ist als Jugendkultur gestorben. Das nächste große Ding soll jetzt wieder Dance oder Rock sein oder was sich Dieter Gorny und Konsorten auch immer ausdenken.

Denyo: Deshalb war auch der größte Anspruch dieser Platte kein politischer, sondern ein qualitativer. Dass da was Politisches mit einfließt, ist selbstverständlich, denn eine Platte, die ein Klassiker werden will, die muss die Künstler, die diese Platte schaffen, auch repräsentieren.

DJ Mad: Solche Sachen wie „Schily-Schill“ entstehen aus der Situation. Als der hier mit 23 Prozent oder so reingewählt wurde, hat das eine erste ernsthafte Bedrohung unseres Hamburger Lebensgefühls bedeutet.

Bemerken Sie konkrete Veränderungen?

DJ Mad: Ja, die Bullenwagen sind jetzt blau.

Gelächter.

Denyo: In den Clubs finden mehr Razzien statt, man kann nicht mehr kiffen. Man merkt, dass hier bayerische oder baden-württembergische Verhältnisse geschaffen werden sollen.

Eizi Eiz: Alle Institutionen, die man einem linken, kreativen Umfeld zuordnen kann, sollen systematisch platt gemacht werden. Das Schauspielhaus soll dichtgemacht werden, Zivis werden in den Pudel-Club geschickt, und sobald da jemand einen Joint in der Hand hat, wird die Konzession entzogen. Zu den Bambule-Demos gab es hier Polizeiaufgebote, so was hatte man noch nicht gesehen – nicht mal in den 80ern während der Hafenstraße-Kämpfe.

Anlässlich der geplanten RAF-Ausstellung in Berlin wird diskutiert, ob der Terror mystifiziert wurde und wird. Parallel dazu tauchen Symbole und Zeichen der RAF in Werbung und Kunst auf. Eizi Eiz hat als Jan Delay vor zwei Jahren die RAF in „Söhne Stammheims“ verarbeitet. Sind Sie mitverantwortlich?

Eizi Eiz: Klar, meine Trendberaterin rief mich irgendwann an und meinte, ich sollte jetzt was über die RAF machen.

Denyo: Es ging darum, gerade den Kiddies, die zu dieser Generation überhaupt keinen Bezug haben, zu zeigen, was damals passiert ist. Aufzuzeigen, dass das, was in der Bild-Zeitung steht, nicht unbedingt stimmen muss.

Trotzdem besteht die Gefahr, ungewollt Teil eines „radical chic“ zu werden.

Eizi Eiz: Wenn das damals schon so losgegangen wäre wie jetzt, dann hätte ich den Track nicht gemacht. Oder ich hätte ein Lied gegen Prada Meinhof und diese T-Shirts gemacht. Du kannst Revolution nicht kaufen. Das hat doch keinen politischen Anspruch, sich so ein T-Shirt zu kaufen, das ist doch Scheiße.

Warum ist es dann nicht Scheiße, auf einem Label zu erscheinen, das Buback heißt?

Eizi Eiz: Das Label hieß schon immer Buback. Die Mutter von Ulrike Meinhof heißt ja auch schon länger Meinhof. Kannst ja mal hingehen und die fragen, ob sie sich jetzt nicht umbenennen will.