Auf vergeblicher Mission

Der indische Unabhängigkeitskämpfer Subhas Chandra Bose suchte in den 40ern den Pakt mit den Nazis. Der Regisseur Shyam Benegal dreht nun am historischen Ort in Berlin einen Film über ihn

von JAN KUHLMANN

Eine Villa im Berliner Ortsteil Dahlem. Im Salon hat die Filmproduktionsfirma Ips einen Konferenzsaal des Auswärtigen Amtes von 1941 nachgebaut: Der Schauspieler Bernd Uwe Reppenhagen, verkleidet als Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, tritt an den Konferenztisch, wo die indische Delegation um den indischen Politiker Subhas Chandra Bose, gespielt von Sachin Shrikant Khedekar, auf ihn wartet. „Heil Hitler“, brüllt er und reißt den rechten Arm in die Höhe. „Vande Mataram“, ruft Rajit Kewal Kapur in Gestalt von Boses jungem Assistenten und schwingt den Arm in einer unbeholfenen Imitation des Hitlergrußes. Amüsiert fragt der blonde Politiker: „Was bedeutet das?“ Der Inder antwortet: „Heil dem Mutterland!“

„Die Nazis haben einen einzelnen Menschen verehrt, Bose und seine Anhänger aber das ganze Land“, sagt Atul Tiwari, einer der Drehbuchautoren des Films „Netaji – The lost hero“ über den indischen Nationalhelden Subhas Chandra Bose. In dieser Szene soll klar werden: Auch wenn Bose 1941 nach Deutschland kam, um bei den Regierungen des Dritten Reiches und des faschistischen Italiens Hilfe im Kampf gegen die Fremdherrschaft der Briten zu suchen, wollte er doch mit der Ideologie der Nazis nichts zu tun haben.

„Netaji – The lost hero“ ist das neue Projekt des indischen Erfolgsregisseurs Shyam Benegal. Im Juli war er zu Dreharbeiten in Berlin. Bose, den die Inder Netaji – „verehrter Führer“ – nennen, ist der dritte Politiker des Unabhängigkeitskampfes, den sich Benegal vornimmt. In einer Fernsehserie verfilmte er das Leben Jawaharlal Nehrus („Bharat Ek Khoj“); später drehte er einen Spielfilm über Mahatma Gandhis politische Lehrzeit in Südafrika („Making of the Mahatma“).

Die Biografie Boses ist wie geschaffen für einen Abenteuerfilm: die Flucht aus britischem Gewahrsam in Kalkutta um die halbe Welt nach Berlin, das Treffen mit Adolf Hitler, die Reise in einem U-Boot von Kiel nach Südostasien. Völlig überraschend tauchte Bose im Februar 1941 in der deutschen Gesandtschaft in Kabul auf. Der Reichsaußenminister lud ihn nach Berlin ein, in der Hoffnung auf eine willige Propagandafigur. Doch Bose ließ sich nicht so einfach vor den Karren spannen. Er weigerte sich bis zum Frühjahr 1942, in der Öffentlichkeit aufzutreten, weil Hitler die Unabhängigkeit Indiens nicht anerkennen wollte. Das Angebot, mit einem eigenen Kurzwellensender „Freies Indien“ seine Landsleute mit politischen Stellungnahmen in den Landessprachen zu versorgen, nahm er jedoch gern an. Auch den Wunsch nach einer Armee erfüllten die Deutschen ihm. So wurde Bose Feldherr einer indischen Legion in Regimentsstärke, ausgerüstet mit Waffen der Wehrmacht. Dass er sich von einem verbrecherischen Regime unterstützen ließ, war ihm bewusst. Im Kampf gegen die britische Kolonialmacht war ihm jedes Mittel recht.

Dass der Legion durch den deutschen Angriff auf die Sowjetunion der Weg nach Indien versperrt sein würde, konnte Bose bei seiner Flucht nach Deutschland noch nicht wissen. Er hatte mit einem eurasischen antibritischen Machtblock gerechnet. „Boses strategische Sicht war korrekt, doch die Dinge entwickelten sich anders“, meint Benegal. Für den Regisseur bleibt der Netaji ein Held, wenn auch ein tragischer.

Trotz Boses enger Kontakte zu den Nationalsozialisten ist Benegal überzeugt: „Bose war kein Nazi und auch kein Kollaborateur.“ Diese Einschätzung leuchtet ein, wenn man weiß, dass Bose die meiste Zeit seines Deutschland-Aufenthaltes mit vergeblichen und frustrierenden Verhandlungen über die Gestaltung der Zusammenarbeit verbrachte. Zu unterschiedlich waren die politischen Überzeugungen Boses und der Nazis. Erst als die Japaner auf Birma zumarschierten und in Indien Aufstände ausbrachen, trat Bose für einige Wochen in der deutschen Kriegspropaganda auf in der Hoffnung, Einfluss auf die Entwicklung in seiner Heimat nehmen zu können. Zur selben Zeit bereitete er schon seine Abreise vor. Im Februar 1943 bestieg er ein U-Boot, das ihn nach Südostasien brachte, wo er mit Hilfe der Japaner die Indian National Army aufstellte und nach Indien führte.

Boses Biografie ist in Indien noch immer ein Politikum. Den Tod des Helden zum Beispiel haben die Filmemacher ganz ausgespart. Viele Inder wollen nicht glauben, dass Bose 1945 bei einem Flugzeugabsturz auf Taiwan ums Leben kam. Ausgelassen wurde auch Boses Bekanntschaft mit Benito Mussolini. „Das hätte zu weit vom Kern der Handlung weggeführt“, sagt Benegal. Dem Publikum entgeht dadurch, wie meisterhaft es Bose verstand, die beiden Diktatoren gegeneinander auszuspielen. Kam er bei den Deutschen nicht durch, versuchte er es bei den Italienern. Der Duce setzte sich sogar bei Hitler persönlich für Boses Belange ein. Denn anders als der Führer, der Indien unter britischer Herrschaft ganz gut aufgehoben sah, hielt Mussolini es nur für eine Frage der Zeit, bis der Subkontinent die Unabhängigkeit erlangen würde. Er suchte deshalb gezielt die Nähe von indischen Größen. Nicht nur Bose, auch Gandhi und der Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore waren bei ihm zu Gast.

Dass Boses Leben erst jetzt verfilmt wird, während Gandhis und Nehrus Leben schon oft auf der Leinwand zu sehen waren, hat seinen Grund. In den Nachkriegsjahren beanspruchte nämlich die Kongress-Partei, geführt von Nehrus Nachkommen Indira und Rajiv Gandhi, allein den Ruhm, das Land in die Unabhängigkeit geführt zu haben. Bose war jedoch aus den Reihen des Kongresses ausgeschert, weil er Gandhis Politik der Gewaltfreiheit für unwirksam hielt. „Wir segeln nun in getrennten Booten“, sagte der Mahatma damals. Heute scheut sich die indische Regierung nicht mehr, Boses Anteil am Freiheitskampf zu würdigen. Wenn Benegal in Nordostindien im Herbst dieses Jahres die Schlacht von Boses Truppen gegen die Briten inszenieren wird, überlässt ihm die indische Armee 500 Soldaten als Komparsen. Im Januar des kommenden Jahres soll der Film in Indien in die Kinos kommen.