Kein Gutschein, aber auch kein Knöllchen

Zu Lasten der Staatskasse eingestellt: Die ersten vier Bußgeld-Verfahren gegen Castor-Blockierer. 31 weitere Verfahren wegen Behinderung des Transportes im Wendland im vorigen November stehen vor dem Amtsgericht Hannover noch an

Aus HannoverKai Schöneberg

Als „leidenschaftlicher Bahnfahrer“ wisse sie, dass man bei 33 Minuten Verspätung schon einen Gutschein von der DB AG bekomme. Für die Mehdorn-Truppe sei das „doch keine Zeit“, sagte Richterin Antje Busch. Allerdings wurden gestern in Raum 2241 des Amtsgerichts Hannover nicht Klagen wegen eines liegengebliebenen ICE verhandelt, sondern der Castor-Transport im vergangenen November, den Protestler aus ganz Deutschland um eben diese gute halbe Stunde verzögert hatten.

Gewaltfrei, wie sie betonen, hatten sich 150 Atomkraft-Gegner an diesem Morgen bei Bahnkilometer 215,250 auf die Gleise gesetzt und sich trotz Aufforderung der Polizei nicht von der Stelle bewegt. „Zum Teil brutal“ hätten die Grünen in Uniform sie geräumt und in die Gefangenensammelstellen in Lüneburg und Neu-Tramm gebracht. Manche kamen erst in den frühen Morgenstunden wieder auf freien Fuß. Es war bitterkalt in dieser Nacht. Aber nicht nur deshalb wird die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme derzeit in einem weiteren Verfahren geprüft (siehe Kasten).

Gestern standen die ersten vier von insgesamt 35 Protestlern vor Gericht, um gegen die Rechtmäßigkeit der vom Bundesgrenzschutz verhängten Bußgelder anzugehen. Je 150 Euro sollten die Studenten, Künstler und Politologen zwischen 23 und 57 Jahren für unbefugtes Betreten der Bahnanlagen, Betriebsstörung und Teilnahme an einer unerlaubten Ansammlung zahlen. Immerhin, so verkündete die Richterin, hatte die Staatsanwaltschaft Lüneburg gerade das Strafverfahren wegen „geringer Schuld“ eingestellt.

Dass es den Einsprüchlern gar nicht um die Höhe der Geldbuße ging, war auch klar. „Grundsatz!“, brummte einer der Protestler trotzig. Die Gleisblockade sei „angesichts des geringen Übels“ schlicht „eine Notwendigkeit“ gewesen. Und: „Wenn wir bestraft werden, gehen wir nicht als Bekehrte aus dem Raum.“

„Wenn Sie parken, wo Sie nicht dürfen, müssen Sie auch ein Knöllchen zahlen“, betonte die Richterin zunächst. Und weiter: „Die Gesetze sind halt so, dass Sie auf den Gleisen nichts zu suchen haben.“ Aber es gehe doch „um die Gefahren für die nächsten Generationen, 10.000 Jahre lang: Das ist doch nichts im Vergleich zur Eisenbahnbau und -betriebsordnung“, sagte einer der Protestler – und es klang fast flehentlich.

Auf diese Art wollte die Richterin das Verfahren aber überhaupt nicht interpretiert sehen: „Ich wehre mich dagegen, mich politisch von Ihnen vor den Karren spannen zu lassen“, sagte Busch.

Letztlich ließ die Richterin doch mit sich reden: Nach nicht mal einer Stunde Verhandlung stellte sie das Verfahren wegen Geringfügigkeit auf Kosten der Staatskasse ein. Es habe „keine Steinewerferei gegeben“, die Demonstranten hätten sich „fair“ verhalten. Die Blockade sei nur „symbolisch“ gewesen und habe allein dem Castor-Transport und nicht auch anderen Zügen gegolten.

Auch wenn das nichts für die kommenden Verfahren heißen muss, werteten die Castor-Gegner das Urteil als Erfolg. Die Einstellung sei als ein „richtungsweisendes Signal nicht allein für die noch ausstehenden Prozesstermine zu deuten“, befand Boris Kruse von der Anti-Atom-Bewegung X-1.000mal quer, „sondern für das Recht auf Demonstrationsfreiheit bei Castor-Protesten generell“.

Bei seiner zehnten Castor-Demo habe er sich zum ersten Mal „bewusst entschlossen, mich von der Polizei festsetzen zu lassen“, sagte Ludwig G. Die Sache bis zum Gerichtsverfahren durchzufechten, sei „eine neue Form des Protests“. Und immerhin „war das ein Fast-Freispruch“.

Die nächsten Prozesstermine: 21.7. (13 Uhr), 22.7. (10.30 Uhr), 26.7. (12 Uhr), 2.8. (12 Uhr), 4.8. (12 Uhr) und 24.8. (14 Uhr) ebenfalls vor dem Amtsgericht Hannover, Volgersweg 1.