piwik no script img

Archiv-Artikel

Kontakt mit den Energieriesen

Trittin orientiert sich am Klimaschutz, Clement an billigem Strom

aus Berlin NICK REIMER

Fast 250.000 Beschäftigte, etwa 80 Milliarden Euro Umsatz jährlich – bei Kanzler Gerhard Schröder steht heute Abend einer der mächtigsten deutschen Industriezweige auf der Matte: die Energiewirtschaft. Kommen wird Wulf Bernotat, seit Anfang Mai Chef des größten europäischen Energiekonzerns, E.ON. Geladen ist auch Harry Roels, seit einem Jahr Chef von RWE. Klaus Rauscher wird dabei sein, Chef des neuen nordostdeutschen Energiekonzerns Vattenfall Europe, ebenso Utz Claassen, ebenfalls erst seit kurzem neuer Chef der Energie Baden-Württemberg EnBW. Außerdem wurde der Chef der Gewerkschaft IG BCE, Hubertus Schmoldt, eingeladen. Und natürlich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement.

Nicht geladen ist dagegen Bundesumweltminister Jürgen Trittin. „Bei dem Gespräch wird es um die allgemeine wirtschaftliche Lage und Entwicklung der Branche gehen“, erklärt Regierungssprecher Thomas Steg. Zudem würden einige neue Chefs das Treffen als eine Art Vorstellungsgespräch beim Kanzler nutzen. Nicht ausgeschlossen sei, dass aktuelle Fragen zur Sprache kommen – etwa die Preissituation am Energiemarkt, die geplante staatliche Regulierung im Bereich Strom und Gas sowie Fragen der europäischen Energiepolitik. Trittins Nichteinladung begründet Steg damit, dass die genannte Besetzung dem „üblichen Format“ bei solchen Branchengesprächen entspreche.

„Aktuelle Fragen der Branche“, „übliches Format“ – das sind die Reizworte des Treffens. Nach Angaben aus Unternehmerkreisen wollen die Energiekonzerne vor allem über den Handel mit Kohlendioxid-Zertifikaten mit dem Kanzler reden. Die EU hatte die Eckpunkte dieses klimapolitischen Instruments verabschiedet. Deutschland muss bis April 2004 die Richtlinie, die erst im September verabschiedet werden soll, in nationales Recht umsetzen. Zuständig: das Haus Trittin.

Das Handelsblatt benannte Ross und Reiter: Clement wolle Trittin ausbooten, denn es gebe einen massiven Streit zwischen den beiden Ministerien. Clement will – anders als Trittin – traditionellen Energierohstoffen wie der Kohle auch künftig einen hohen Stellenwert garantieren. „Wir können nicht gleichzeitig aus der Kernenergie und der Kohle aussteigen“, pflegte der Bundeswirtschaftsminister schon zu Zeiten zu argumentieren, als er noch oberster Kohlekumpel in Nordrhein-Westfalen war.

Das sieht zwar Trittin genauso, der Bundesumweltminister setzt aber auf einen Energiemix, in dem Kohle gegenüber regenerativer Energie, Kraft-Wärme-Kopplung und klimafreundlicheren Gas- und Dampfkraftwerken (GuD) eine wesentlich kleinere Rolle spielt als bei Clement. GuD sind Kraftwerke mit hohem Wirkungsgrad, in denen eine Gasturbine fossile Brennstoffe, vorwiegend Erdgas, verbrennt.

Es geht also um nichts weniger als die Weichenstellung der deutschen Energiepolitik. In den nächsten 20 Jahren müssen bis zu 80 Prozent des deutschen Kraftwerk-Parks erneuert werden. Ursache dafür sind der Atomausstieg einerseits – 29 Prozent des deutschen Stroms werden heute in AKWs produziert. Andererseits müssen drei Viertel der bestehenden, überalterten Kohlekraftwerke erneuert werden – sie produzieren derzeit knapp die Hälfte des deutschen Stroms. Die Weichen für Neuinvestitionen werden jetzt gestellt, unter anderem durch die Ausgestaltung des Handels mit Kohlendioxid-Emissionsrechten.

Ärgert den dafür zuständigen Bundesumweltminister, dass ihm die Türen heute verschlossen bleiben? „Wieso denn, der Kanzler will die neuen Konzernspitzen kennen lernen“, erklärt Trittin-Sprecher Michael Schroeren. Und das habe Trittin dem Kanzler voraus: „Er traf bereits zwei der vier Konzernchefs.“ Sicherlich werde bei diesem Antrittsbesuch beim Kanzler über wichtige Dinge gesprochen. „Entscheidend ist, wann, wie und von wem entschieden wird.“

Tatsächlich spricht einiges für diese Darstellung. Zum Beispiel die Selbstverpflichtung der Industrie zum Klimaschutz. Vor zwei Jahren war sie industrieseitig erneuert – und verschärft – worden: 35 Prozent Emissionsminderug bis 2012. Die verminderten Ökosteuersätze für energieintensive Unternehmen waren von der EU-Wettbewerbsbehörde nur unter Verweis auf diese Selbstverpflichtung genehmigt worden (siehe Kasten).

Die Industrie hatte auch ein unabhängiges Institut mit dem Monitoring betraut: das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Alle zwei Jahre soll es Auskunft über die Einhaltung der Selbstverpflichtung geben.

Die jüngsten Zahlen, die das RWI veröffentlichte, verraten den Stand: Die Industrie ist auf Abwegen. Ein beim RWI vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Auftrag gegebenes Gutachten – der BDI stellte es vor Wochenfrist vor (taz vom 6. August) – machte klar, dass die deutsche Wirtschaft ihr Emissionsziel unter Umständen um bis zu 33 Prozent verfehlen kann. Daher riet das RWI der Politik, Zertifikate für den Fall aufzukaufen, dass durch schlechte Wetterlagen oder gute Konjunktur mehr Energie verbraucht und damit mehr Kohlendioxid in die Luft geblasen wird.

„Damit würde ja der Staat einen Teil der Selbstverpflichtung der Wirtschaft übernehmen“, kommentiert Michael Schroeren dieses Ansinnen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Grundlage für die Ökosteuerausnahmen entfielen. Schroeren: „Ich weiß erstens nicht, woher der Staat dafür das Geld nehmen soll. Zweitens wäre das eine neue Subvention. Ich bezweifle, dass Brüssel diese genehmigen würde“.

Für die These, dass der Zertifikatshandel beim Kanzler heute nur eine untergeordnete Rolle spielt, dürfte auch die Tatsache sprechen, dass die Positionen der vier Energieriesen unterschiedlicher nicht sein könnten. Die EnBW ist dafür – was nicht verwundert. Weil der Konzern den höchsten Atomstromanteil in Deutschland hat, verfügt er über die niedrigste CO2-Emissionsquote je Kilowattstunde. Insofern wäre EnBW ein Gewinner jenes Systems, das durch einen so genannten nationalen Allokationsplan – schreckliches Wort – in Deutschland Gesetz werden soll.

Vattenfall ist „unter Umständen“ dafür. „Wir wollen sichergestellt wissen, dass die early action angemessen berücksicht wird“, erklärt Peter Poppe, Sprecher von Vattenfall Europe, die grundsätzliche Position seines Unternehmens zum Emissionshandel. „Frühe Aktion“ heißt im Falle Vattenfalls die Stilllegung oder Modernisierung des alten DDR-Kraftwerkparks. „Neun Milliarden Euro hat Vattenfall investiert und so den Kohlendioxidausstoß um 50 Millionen Tonnen reduziert“, so Poppe. Damit habe Vattenfall ein Fünftel der bisherigen Reduktion Deutschlands getragen – „im Prinzip kommt alles, was die Energiewirtschaft zum deutschen Klimaziel bislang beigetragen hat, von Vattenfall“. Da sei es doch nur recht und billig, dass vom Zertifikatshandel nicht nur die profitieren, die erst jetzt investieren. Poppe: „Wir wollen mit den Zertifikaten ja kein Geld verdienen. Wir wollen nur unseren Kraftwerkspark sichern.“

Clement will Trittin ausbooten – es gibt Streit zwischen ihren Ministerien

E.ON und RWE hingegen lehnen das vom Umweltministerium geplante System schlichtweg ab. „Alle volkswirtschaftlichen Sektoren“ müssten beteiligt werden, erklärte RWE-Vorstandschef Harry Roels am Dienstag. Durch die Vergabe der Rechte dürfe es „keine Gewinner und Verlierer“ geben. Die EU-Richtlinie sieht aber vor, dass nur jene Unternehmen handeln müssen, die einen Brennkessel mit einer Leistung größer als 20 Megawatt betreiben.

Insofern ist sich das Trittin-Ministerium sicher, dass sich die Konzernchefs mit Kanzler Schröder heute über vieles unterhalten – sicherlich auch über den Zertifikatshandel. Zusagen oder entscheiden wird der Kanzler aber nichts.

Selbst wenn sie damit richtig liegen sollten, am grundsätzlichen Problem ändert das nichts: Trittins Energiepolitik orientiert sich am Klimaschutz; die des Bundeswirtschaftsministers an einem Standortvorteil Deutschlands: billigem Strom. Zwei divergierende Politikansätze in einer Regierung – das geht nicht gut und riecht natürlich nach dem berühmten „Kanzler-Machtwort“.

Und in der Tat ist die Bundesregierung in der Bringschuld. Nach eigenen Schätzungen muss die Energiewirtschaft in den kommenden Jahren 30 bis 40 Milliarden Euro investieren. „Kraftwerke amortisieren sich erst nach deutlich größeren Zeitspannen“, sagt Wolfgang Jungsch, Bereichsleiter Erzeugung der Energieversorgung Halle. Insofern sei die Forderung der Energiewirtschaft an die Politik berechtigt: „Schafft uns Planungssicherheit!“

Dass der Kanzler heute nichts zusagen oder entscheiden wird, davon ist auch Michaele Hustedt, die energiepolitische Sprecherin der Grünen, überzeugt. „In diesem Herbst stehen mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz, dem Energiewirtschaftsgesetz, dem Steinkohlebeihilfegesetz und dem Gesetz zum Zertifikatshandel vier wegweisende energiepolitische Novellen auf dem Programm“, sagt Hustedt. Der Kanzler dürfte kaum daran interessiert sein, die Fraktionen jetzt zu verärgern. Hustedt: „In der Energiepolitik ist auch die SPD-Fraktion sehr selbstbewusst.“