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Archiv-Artikel

Kippen und Kaffee verboten

Irlands Pubs sind unberechenbar. Besonders der HI-B von Brian in Cork. Wer zu langsam trinkt oder Kaffee bestellt, wird manchmal rausgeworfen. Den seltsamen Namen hat der Pub vom Hotel Hibernian, das Brians Vorfahren einst führten

VON ROBERT B. FISHMAN

Auf der vergilbten Tapete klebt ein Zettel mit einem durchgestrichenen Handy darauf. Hinter dem Zapfhahn warnt ein Plakat: „Wer trinkt, um zu vergessen, möchte bitte im Voraus bezahlen“. Und alle halten sich dran: kein Handy, keine Kaugummis, keine Deckel und, wie neuerdings in allen irischen Kneipen, keine Zigaretten. Selbst der Fernseher, der in fast jeder Corker Kneipe läuft, schweigt im HI-B beharrlich. Die Männer, die nach dem letzten Pint (ca. 0,6 Liter) schwarzbierschwer zum Ausgang wanken, verabschieden sich höflich.

Brian hat seine Kunden im Griff – auch wenn er nicht da ist. „Wo ist er eigentlich?“, fragt einer der Stammgäste die immer fröhliche Esther hinter der Theke. „Keine Ahnung, mal wieder verschwunden.“ Aus ihrem vollen, runden Gesicht strahlt so etwas wie verhaltene Erleichterung.

Wenn hier jemand von Brian spricht, werden die Stimmen leiser, die meisten halten sich die Hand vor den Mund. „Es muss ja nicht jeder hören. Der Mann ist nicht ohne, pass auf, was du hier machst“, warnen Stammgäste und erzählen Geschichten aus dem HI-B: Einen habe er mal rausgeschmissen, weil er zu langsam getrunken hat, der Nächste musste gehen, weil dem Chef die Nase nicht passte. „Wir sind ein Pub und kein Café“, lautet noch der freundlichste Hinweis an Zeitgenossen, die nicht schon am frühen Nachmittag mit dem Biertrinken beginnen wollen.

„Manche kommen wegen Brian“, erzählt Esther. „Wenn er dich mag, kann er sehr nett sein, wenn nicht, wirst du nicht bedient.“ Ein Exzentriker, der „dich heute rausschmeißt und dir morgen einen ausgibt“. Fast wäre er Arzt geworden, aber als sein Vater starb, hat er die Kneipe übernommen. Den seltsamen Namen hat der Wohnzimmer-Pub vom Hotel Hibernian, das Brians Vorvorfahren einst in diesem Haus führten.

Das HI-B trotzt der hell hölzernen, mattsilber-metallenen Moderne, die inzwischen auch die meisten Corker Bars und Cafés erobert hat: eine gelbe Tapete, deren Farbe nach Jahrzehnten allmählich ins Graugrün wechselt, statt moderner Kunst an der Wand die Familienfotos der Besitzer und ihrer Stammgäste. Im Raum, kaum größer als ein Wohnzimmer, stehen um dunkelbraune Couchtische ebenso dunkle, abgewetzte Sessel und Stühle aus den 70ern. Hier hat sich nichts verändert, seit Brians Vater den Laden von seinem Großvater übernommen hat.

An der mächtigen Theke aus dunklem, schwerem Holz sitzen die, die immer hier sitzen: Anwälte, Arbeiter, Unternehmer, Dichter, Künstler und Mary *. Die kleinwüchsige Dame sieht im Stehen kaum über den Thekenrand und schafft es nur mit Mühe auf den Barhocker. Weil sie kein Geld mehr hat, will sie morgen nach Dublin reisen. „Die tauschen da doch die Pfund in Euro um“, meint sie. „Wie viel Pfund hast du denn?“, fragt verwundert ihre Thekennachbarin. „Zwanzig Pfund oder zehn, ich weiß es nicht“, stellt sich schließlich heraus. Alle machen sich Sorgen um die alte Frau, die auf dem fast dreihundert Kilometer weiten Weg in die große Hauptstadt verloren gehen könnte. Sie war ja noch nie so weit weg.

Mit Stammgast Tom * kommen alle schnell ins Gespräch. Er diskutiert mit jedem die neuesten Hurling- oder Fußballergebnisse, über das Wetter und was sonst so die Welt in Irlands tiefem Süden bewegt. Irgendwann, nach vielen Bier und Gesprächen, fragt der muntere Endvierziger: „Weißt du eigentlich, dass ich taub bin?“ Darum ist sein Englisch im Lärm der vollen Kneipe kaum zu verstehen. Die Antworten auf seine vielen Fragen liest er den Leuten von den Lippen ab. Was nicht in sein aufmerksames Gesicht gesprochen wird, geht verloren.

Wer rauchen will, muss über die knarrende Treppe hinunter in den rot-gelben Eingang. An der Wand unter den roten Stoffbespannungen mit den riesigen gelben Lilien darauf wirkt die neueste Errungenschaft des modernen Irland wie ein Symbol aus einer fremden Welt: eine schwarze Schachtel, die aussieht wie ein futuristischer Briefkasten. An der rauen Fläche oben drückt man seine Zigarette aus, um dann den Stummel durch ein Loch hineinzuwerfen. Seit das Rauchen in allen Kneipen und öffentlichen Gebäuden des Landes verboten ist, hängen diese Kästen in allen Eingängen. Auf dem schwarz-weißen Mosaikboden darunter mit dem Schriftzug HI-B hat der Wirt seine Bierfässer abgestellt. Der perfekte Platz, um das Pint beim Rauchen abzustellen. Draußen vor der Tür ist das Trinken streng verboten.

Obwohl das HI-B weder Internetseite noch E-Mail-Adresse hat („Der Chef hält nichts von diesem neumodischen Quatsch“), macht der Laden längst Karriere im weltweiten Datennetz. Zahlreiche Einträge loben die „altmodische Wohnzimmeratmosphäre am offenen Kaminfeuer“, die „exzellente Sammlung an Klassik- und Jazz-CDs“, die Mittwochabende mit den Jazzpianisten oder die Schellackstunden. Jeden ersten Dienstag im Monat packt eine Corkerin im HI-B ihr altes Grammofon aus und legt Schellackplatten auf.

Brian ist wieder da. Sein wallendes Haar ist grau, fast weiß, die Hornbrille groß und dick. Er sitzt mit einem großen Glas Schwarzbier und der Lokalzeitung an der Theke, liest, blickt versonnen in die Luft und unterhält sich sporadisch mit seinen Gästen. Ganz friedlich, der Brian. „So ist er nicht immer“, versichern die Gäste, „aber er ist schon ganz in Ordnung.“

* Name geändert