: Der Genosse Sputnik
Heute stellt Gregor Gysi sein neues Buch vor. Das Werk „Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen“ erzählt von Wahlkampf und Senatsarbeit. Aus diesen Niederungen hat er sich längst erhoben – die PDS ist nicht wirklich traurig
von ROBIN ALEXANDER
Heute stellt Gregor Gysi sein neues Buch vor. Den Titel „Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen“ fanden viele Rezensenten vermessen. Auf jeden Fall ist er irreführend. Gysi erzählt vor allem über seine kurze Zeit in der Berliner Landespolitik. Regelmäßige Zeitungsleser finden nichts Neues: Gysi findet Frank Steffel (CDU) sympathisch und die Schließung von Kultureinrichtungen „antizivilisatorisch“. Sein Rücktritt sei mitnichten aus Amtsmüdigkeit geschehen.
Viel Sorgfalt scheinen weder Autor noch Lektor auf das Werk verwandt zu haben. So kommt Gysi mit Ereignissen durcheinander, die noch gar nicht so lange zurückliegen. Im Kapitel „Koalitionsverhandlungen“ schreibt er: „In den Tagen nach der Wahl spielte die Haltung der PDS gegen den geplanten Krieg in Afghanistan weiter einer zentrale politische Rolle“. In Wirklichkeit begann der Krieg gegen die Taliban bereits am 7. Oktober, gewählt wurde in Berlin jedoch erst am 21. Oktober. Der Krieg fand also nicht nach der Wahl, sondern während des Wahlkampfes statt und erklärt einen Teil des Erfolges der sich als Friedenspartei gerierenden PDS und ihres Spitzenkandidaten.
Der aktuellen Landespolitik ist Gysi längst wieder enthoben. Die Berliner PDS ist darüber nicht traurig. „Wir brauchen Gysi dringend“, sagt Partei- und Fraktionschef Stefan Liebich, fügt jedoch im selben Atemzug hinzu: „Das bezieht sich jetzt auf die Bundesebene“. Als Werbeträger hält Liebich den Star-Genossen für unersetzbar, seine Wirkung als Politiker sieht Liebich ambivalent. Ohne den Kandidaten Gysi hätte die PDS niemals 22,6 Prozent erreicht. Ohne Gysis Rücktritt, so Liebichs Überzeugung, wäre sie jedoch auch nicht in eine Vertrauenskrise gestürzt, aus der einstellige Umfrageergebnisse resultierten.
Gysi gehört ohne Zweifel zum schrumpfenden PDS-Universum: Aber eher wie ein Satellit, zu dem man stolz aufblicken kann, wie er das Zentralgestirn umkreist und ab und zu von oben herunterfunkt. Aber nicht zu oft: Denn Genosse Sputnik ist nicht berechenbar. Die Illusion, den „Egomanen“ (ein Senatsmitglied) auch nach seinem Rücktritt in eine gemeinsame Strategie einzubinden, hegten Liebich und die übrig gebliebenen PDS-Senatoren Harald Wolf (Wirtschaft), Heidi Knake-Werner (Soziales) und Thomas Flierl (Kultur) nie.
Alle drei wurden in der kurzen Zeit nach Gysis Vereidigung zum Senator von ihm enttäuscht. Wolf nimmt Gysi heute noch übel, dass er die Entscheidung zurückzutreten allein traf und ihn und Liebich lediglich informierte. Bei Knake-Werner kommt menschliche Enttäuschung hinzu. Gysi war es, der Knake-Werner nach den Koalitionsverhandlungen aus einem Teneriffa-Urlaub nach Berlin rief und sie überredete, für das Senatorenamt aus dem Bundestag auszusteigen – nur wenige Monate bevor Knake-Werner einen Rentenanspruch erworben hätte. Knake-Werner setzte also auf Gysis Drängen ihre Altersvorsorge auf das rot-rote Projekt, aus dem Gysi selbst wenige Monate später auszustieg. Thomas Flierls Ärger mit Gysi ist jüngeren Datums. Flierl – der ursprünglich als Staatssekretär unter einem Kultursenator Gysi vorgesehen war – bekleidet dieses Amt nun selbst und widmete sich vor allem den Opern. Hier traf er wieder auf Gysi: Der Anwalt hat nach seinem Ausstieg aus dem Senat sein Mandat für den Generaldirektor der Staatsoper und Stardirigent Daniel Barenboim wieder aufgenommen. Der Konflikt Flierl gegen Barenboim plus Gysi wurde nicht mit Samthandschuhen ausgetragen. Als der Kultursenator die Rücklage der Staatsopern auflöste, nannte der Dirigent das „Räuberei“ des „so genannten Kultursenators“. Gysi scheute sich nicht, die für Flierls Ansehen essenzielle Opernreform zu torpedieren. Statt einer Stiftung für drei Opern wollte Gysi, dass der Bund Barenboims Staatsoper übernimmt. Wie ein professioneller Lobbyist warb Gysi auf allen Ebenen dafür. Nur mit den beleidigten Genossen kam er nicht ins Gespräch: Liebich ließ Briefe unbeantwortet. Flierl rief Gysi nicht mehr zurück. In seinem Buch vermerkt Gysi dazu, er habe sich mit Flierl „wegen seines Opernkonzeptes fast zerstritten“.
Zum offenen Konflikt kam es nicht: Die Berliner Regierungssozialisten wissen, dass sie ohne Gysi nicht können. Gerade den Jüngeren macht das allerdings zunehmend Sorgen. Benjamin Hoff, 27-jähriger Abgeordneter, klagt über die schleppende Erneurung der PDS: „Wenn Lothar Bisky als sein zentrales Projekt verkauft, Gysi kommt zurück, wundert mich das schon.“ Gysi selbst ficht das nicht an: Ihn ärgern eher, dass Phönix die Präsentation seines Buches nicht live überträgt, obwohl er den SPD-Generalsekretär Olaf Scholz für die Vorstellung gewinnen konnte. Andere Sphären eben.