Bundeskanzler soll „grüne Gentechnik“ retten

Industrievereinigung Biotechnologie wirft Agrarministerin Künast „Blockadepolitik“ vor. Branche kämpft ums Leben

FRANKFURT/MAIN taz ■ Großer Katzenjammer gestern bei der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB). „Seit Jahren“ komme die kommerzielle Verwertung des Potenzials der „grünen Gentechnik“ nicht voran, klagte DIB-Vorstandsmitglied Harald Seulberger. Schuld daran sei vor allem die „Blockadepolitik“ der grünen Landwirtschaftsministerin Renate Künast, die für „Stillstand auf diesem Arbeitsgebiet“ gesorgt habe. Immer wieder suche Künast neue Ansätzen, um die Nutzung der grünen Gentechnik zu erschweren oder gar völlig zu verhindern, wetterte Seulberger weiter.

Jetzt soll der Kanzler ran. Im Koalitionsvertrag stehe, dass die Innovationspotenziale der Biotechnologie „systematisch genutzt“ werden sollten, konstatierte Seulberger. Der Bundeskanzler müsse „politisches Leadership“ zeigen, ein Machtwort sprechen, sonst fahre der „grüne GenTech-Zug“ endgültig ohne Deutschland ab. Schließlich würden in anderen Ländern bereits 60 Millionen Hektar gentechnisch veränderterer Pflanzen angebaut – von knapp sechs Millionen Landwirten. Und in Deutschland stünden Firmen, die sich dieser „Zukunftstechnologie“ verschrieben hätten, „reihenweise vor der Insolvenz“.

Die Nerven der Vorstandsmitglieder der DIB, einer Unterorganisation des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), scheinen blank zu liegen. Der DIB-Vorsitzende, Peter W. Stadler, sieht gar die gesamte Branche in einer „wirtschaftlichen Bewährungsprobe“. So habe sich – vor allem durch Insolvenzen – die Zahl der kleinen und mittelständischen Biotechnologiefirmen deutlich verringert; und auch die Umsätze seien um drei Prozent auf rund eine Milliarde Euro „geschrumpft“. Die Kapitalbeschaffung für Investitionen und für die Forschung werde immer schwieriger – auch für Unternehmen, die ausschließlich für den Markt für gentechnisch hergestellte Arzneimittel und „Diagnostika“ produzierten. Im Gegensatz zur „grünen Gentechnik“ akzeptieren 93 Prozent der Bevölkerung diesen Markt.

Und doch hinkten auch die deutschen Pharmakonzerne vor allem US-amerikanischen Unternehmen weit hinterher. So seien in Deutschland aktuell etwa 100 gentechnisch hergestellte Arzneimittel mit 72 Wirkstoffen auf dem Markt. Davon stammten aber nur 14 aus deutscher Produktion. Um die Branche in Deutschland nach vorne zu bringen, müsse die Biopatentrichtlinie der Bundesregierung umgehend umgesetzt werden. Denn ohne ausreichenden Patentschutz, so Stadler, könnten weder private Investoren noch Risikokapitalgesellschaften für ein Investment gewonnen werden. Und ohne Biopatentrichtlinie scheitert auch die für den internationalen Wettbewerb notwendige Kooperationen mittelständischer Firmen mit Pharmakonzernen.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT