Rebellenherrschaft unter Blauhelm-Aufsicht

Die Lage in Haiti normalisiert sich. Das jedenfalls möchte die Regierung dem Ausland vermitteln. Doch der Schein trügt

SANTO DOMINGO taz ■ Haiti kehrt zur Normalität zurück. Der äußere Ausdruck ist so ganz im Sinne des Interims-Regierungschefs Gérard Latortue. Die brasilianische Fußballelf, Gewinner des Amerika-Cups, wird Mitte August in Port-au-Prince gegen die Kicker aus dem „Land der Berge“ antreten. Auf einer internationalen Geberkonferenz in Washington wurden Milliarden für den wirtschaftlichen und politischen Umbau zugesagt.

Die karibische Staatengemeinschaft Caricom, die die diplomatischen Beziehungen nach dem unter US-Zwang abgedankten Expräsidenten Jean-Bertrand Aristide eingefroren hatte, lud Haiti ein, wieder in die Karibikgemeinschaft zurückzukehren. Bis zum 15. September sollen alle nicht autorisierten Personen ihre Waffen abgegeben haben.

Doch der Schein trügt. Fotogen patrouillieren die militärischen Einheiten der UN-Mission zur Stabilisierung Haitis (Minustah) durch die Straßen des acht Millionen Einwohner zählenden Landes, um Sicherheit zu signalisieren.

In Wirklichkeit herrschen in zahlreichen ländlichen Regionen die Rebellen um den ehemaligen Polizeiverwaltungschef von Cap Haïtien, Guy Philippe. Wenn die Minustah-Soldaten in ihrem Kontrollgebiet auftauchen, können sie Marktfrauen beobachten, die Früchte und Gemüse feilbieten. Sind die rund 6.700 Militärs und etwa 1.600 Polizisten aus zwölf Ländern unter dem Kommando von Brasilien um die Ecke gebogen, tauchen die Rebellen der ehemaligen Widerstandsfront in ihren Tarnuniformen wieder auf.

Nach wie vor kontrollieren schwer bewaffnete Mitglieder der Rebellenarmee den Ort Mirebalais, knapp 45 Kilometer nordöstlich von Port-au-Prince. Hier kreuzen sich zwei der wichtigsten Straßen. In der Region hatten sich die Bewaffneten bereits lange vor dem Sturz von Aristide festgesetzt und die Bewohner und Anhänger der damaligen Regierungspartei Fanmi Lavalas, der „Erdrutsch“-Bewegung, terrorisiert. Die Gruppe, die sich einst „Armee ohne Mutter“ nannte, wird für zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen und Massaker an Regierungsmitgliedern verantwortlich gemacht.

In der Gegend seien in den letzten Monaten zahlreiche Lavalas-Mitglieder ermordet worden, erzählt ein Mitglieder der Organisation, die einst Aristide aufgebaut hat. Eigentlich müssten in Mirebalais die Mitglieder der chilenischen UN-Streitkräfte Präsenz zeigen. Sie fahren durch die Straßen, steigen ab und zu aus, um um ein paar Blocks im Ort zu laufen. Doch ihre Anwesenheit ist sehr sporadisch. Wenn die UN-Friedenstruppen nicht anwesend sind, herrschen die Rebellen in Tarnuniform. Sie laufen Streife, kontrollieren Fahrzeuge und inhaftieren, wie es ihnen beliebt. Sie sind de facto die Ordnungsmacht.

„Mit den UN-Truppen haben wir keine Probleme“, sagt Fritz Pierre, der Chef der Gruppe aus ehemaligen Angehörigen der aufgelösten haitianischen Armee. „Sie haben kein Recht, uns unsere Waffen abzunehmen.“ Man werde sich allerdings nicht von der UN entwaffnen lassen, versichert Pierre.

HANS-ULRICH DILMANN