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Archiv-Artikel

Im heißen Herzen des Saubuschs

Überall sind nur enorm wichtige Männer unterwegs: Hinter den Kulissen der Formel 1 hetzen Herren hin und her

HOCKENHEIM taz ■ Sonntag, 25. Juli 2004, Formel 1, der Große Preis von Deutschland. Ein Journalist ist vor Ort. Er hält sich im innersten Bereich des teuersten Sportspektakels der Welt auf: im Fahrerlager des Hockenheimrings. Er beobachtet, er notiert, er packt aus. Lesen Sie selbst.

Ich stelle meinen Golf Turbodiesel auf dem Presseparkplatz ab. Ein Shuttlebus bringt mich zur Strecke. An der Zufahrt zum Motodrom, der Continentalstraße, hunderte von geduldigen Fans, die Autogramme wollen. Ich fühle mich geehrt. Auf dem Autobahnrasthof, an den ein Waldcampingplatz anschließt, war das anders. Da wurde getrunken und gelärmt.

Der Bus hält direkt vor dem Fahrerlager, im Herzen dieser einzigartigen multifunktionalen Anlage. Ich steige aus, zücke meine Karte, den von der FIA ausgestellten elektronischen Pass, und passiere die Kontrolle.

Die ersten Schritte auf heiligem Boden. Rechter Hand stehen die Trucks der Teams, linker Hand die Motorhomes. Beide, Trucks und Motorhomes, sind in den jeweiligen Teamfarben lackiert, von Schwarz (Minardi) bis Rot (Ferrari). Alles glänzt und leuchtet, die Sonne scheint. Weltmeister Ferrari wurde der beste Platz zugewiesen, auf Höhe der Siegerehrungstribüne.

Schon um diese frühe Zeit, um 8.45 Uhr, laufen viele enorm wichtige Männer herum. Ich streife den hellblauen Ärmel von Flavio Briatore, dem Renault- Teamchef, und sehe Norbert Haug von McLaren-Mercedes. In den prunkvollen Motorhomes wird fürstlich gespeist. Das hier ist eine andere Welt.

Ganz besonderen Respekt flößen mir vor allem die zahllosen Männer mit Spiegelsonnenbrillen ein, die vor der Ferrari-Burg patrouillieren.Ich zücke mein Handy, entsperre die Tasten und sperre sie wieder. Das machen hier alle. Dann kehre ich um und gehe gemessenen Schrittes zurück zum Eingang des Fahrerlagers. Dort warten die Fotografen auf die Stars, um sie abzulichten. Ich beschließe mitzuwarten, zücke mein Handy, entsperre die Tasten und sperre sie wieder.

Um 9.05 Uhr taucht Michelin-Boss Dupasquier auf. Ich schaue ihm hinterher, um den Anblick der Aura so lange auszudehnen, wie es irgend möglich ist. Dann lenkt mich RTL-Reporter Christian Danner ab. Für die Frauen bleibt im Moment keine Zeit, es geht alles sehr schnell. Eben noch Dupasquier, jetzt Danner, dann Kimi Räikkönen, Hand in Hand mit seiner Miss Skandinavien, die er noch diese Woche heiraten wird. Das ist das wahre Leben in der Formel 1!

Jenseits der Sicherheitsschleuse lauern einige Edelzuschauer den eintreffenden Piloten auf. Ich passiere mit meinem E-Pass den Korridor, um auch mal die andere Seite kennen zu lernen. Ein Polizeimotorrad braust heran, und dreißig Meter entfernt stoppt ein schwarzer BMW. Wie sich herausstellt, ist Juan Pablo Montoya angekommen, samt Familientross. Ich zücke mein Handy, entsperre die Tasten, rufe zu Hause an und sperre die Tasten wieder.

Kaum habe ich mein Handy weggesteckt, rollt Jena Todt an, der „Napoleon“ von Ferrari. Am Steuer des silbernen Maserati sitzt: Balbir Singh, Michael Schumachers Physiotherapeut! Todt darf, anders als die Familie Montoya, bis an die Sicherheitsschleuse vorfahren. Das sagt einiges über die Kräfteverhältnisse in der Formel 1.

Barrichello, Coulthard, Button per Moped, Trulli, Alonso, Heidfeld im Wackelgang und mit hellbraunem Schulranzen, sogar Mercedes-Vorstandsmitglied Jürgen Hubbert (Kennzeichen: S-OD 4204) – die Zeit vergeht im Flug! Schade, dass Ralf Schumacher aufgrund einer Verletzung verhindert ist. Deshalb trete ich mit meinem E-Pass wieder in den Bezirk der Privilegierten ein und beobachte die Minardi-Mechaniker beim Rauchen. Während Superstar Alexander ein Interview gibt, lassen Toyota-Mitarbeiter Luft aus den Reifen.

Saubers Asphalthelden Massa und Fisichella schreiben Autogramme, ein holländisches Fernsehteam filmt Bas Leinders. Ich zücke mein Handy, entsperre die Tasten und sperre sie wieder. Bis zum Start schlendere ich noch dreieinhalb Stunden durch das Fahrerlager und entdecke, dass Willi Weber in ein Gespräch mit Keke Rosberg vertieft ist. Die Jordan-Mechaniker nehmen einen Snack ein, Ron Dennis verschränkt die Arme, und Rennarzt Professor Watkins hält einen Plausch.

Das Rennen verfolge ich wie meine Kollegen im Pressezentrum am Fernseher. Hinterher sitzen Michael Schumacher, Button und Alonso vor meiner Nase auf dem PK-Podium. Alle drei sind wirklich klein. Schumacher schnieft, er hat einen Schnupfen und dankt seiner Tochter. Bild wird darüber berichten.

Draußen schieße ich im Gedränge aus einem Meter Entfernung ein Foto von Michael Schumacher und Jean Todt, die Arm in Arm das Fahrerlager hinunterlaufen. Anschließend versacke ich mit dem schärfsten Boxenluder aller Zeiten.

Später zücke ich mein Handy. Auch im nördlich an die Piste angrenzenden Wald ist Ruhe eingekehrt. Er heißt Oberer Saubusch.

JÜRGEN ROTH