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Archiv-Artikel

Neue Runde in Koreas Atompoker

Bei den heute in Peking beginnenden Sechser-Gesprächen über Nordkoreas Atomwaffenprogramme will China eine konstruktive Mittlerrolle spielen

China will weder eine Destabilisierung Nordkoreas noch eine Atomrüstung Japans

PEKING taz ■ Je näher die heutige Verhandlungsrunde rückte, desto kriegerischer wirkten die Gesten der Beteiligten. Ein nordkoreanisches Schiff, das vorübergehend in südkoreanisches Hoheitsgewässer eindrang, löste gestern Warnschüsse der südkoreanischen Marine aus. Kurz zuvor hatte Washington neue Manöver vor der australischen Küste angekündigt, bei denen das Entern von Frachtschiffen geprobt werden soll – zur Vorbereitung auf ein eventuelles Waffenembargo gegen Nordkorea. Die Regierung in Pjöngjang reagierte entzürnt: Falls die USA ihre feindliche Haltung nicht änderten, werde man die bevorstehenden Gespräche lediglich zu einer Erklärung nutzen, dass an einen Abbau der atomaren Abschreckung Nordkoreas nicht zu denken sei, ließ die staatliche Nachrichtenagentur KCNA verlautbaren.

Das sind keine guten Vorzeichen für die ungewöhnliche Sechserrunde, die ab heute für drei Tage in Peking zusammentritt, um über eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel zu verhandeln. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs treten hier die Schlüsselmächte Nordostasiens zu militärpolitischen Beratungen zusammen. Die USA, Japan, Russland, Nord- und Südkorea folgen einer Einladung Chinas, der ein außenpolitischer Kurswechsel in Peking zugrunde liegt.

Denn bislang waren solche Gespräche schon deshalb undenkbar, weil China seine historische Allianz mit dem Kim-Regime in Pjöngjang, für dessen Überleben einst annäherend eine Million Chinesen im Koreakrieg ihr Leben ließen, nicht aufs Spiel setzen wollte. Doch genau dazu erklärt sich die chinesische Regierung nun bereit: „Wenn China sich zwischen den Interessen der internationalen Gemeinschaft und denen eines ehemaligen Bruderlandes wie Nordkorea entscheiden muss, dann steht China heute auf Seiten der internationalen Gemeinschaft“, sagte ein führendes KP-Mitglied in Peking der taz.

China hat viele gute Gründe, sich einen Verhandlungserfolg zu wünschen. Sanktionen der USA könnten eine nordkoreanische Flüchtlingswelle über die Grenze zur Volksrepublik auslösen. Eine Atombewaffnung Nordkoreas zwänge Japan zur nuklearen Nachrüstung – für Peking ein Albtraum. Aber Wünsche allein machen keine Politik, und es ist offen, welches Gewicht China in die Verhandlungsschale werfen kann. Zwar liefert die Volksrepublik einen Großteil des nordkoreanischen Energie- und Lebensmittelimportbedarfs. Doch streiten westliche und chinesische Diplomaten stets darüber, wieweit Peking damit über ein Druckmittel verfügt. Die chinesische Regierung jedenfalls behauptet fest, dass die Pjöngjanger Politik auch für sie unberechenbar geworden sei.

Vermutlich ist das nicht die ganze Wahrheit. Denn ohne versteckten chinesischen Druck im Wirtschaftsbereich ist kaum vorstellbar, wie Pjöngjang so weit zum Nachgeben gezwungen werden könnte, dass auch die Hardliner in Washington einlenken würden. Letztere wollen Nordkorea keine wesentlichen Zugeständnisse machen, bevor das Land seinen Verpflichtungen im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages nachkommt, von dem es zu Jahresbeginn zurückgetreten ist. Pjöngjang aber verlangt zunächst einen Nichtangriffspakt mit den USA, bevor es seine Atomwaffenprogramme aufgibt. Bei beiden Positionen gibt es nicht viel zu verhandeln. Es sei denn, es geht für Nordkorea unterm Tisch noch um ganz andere Dinge – zum Beispiel um chinesisches Öl. Immerhin stoppte China seine Öllieferungen an Nordkorea Anfang März für drei Tage und zeigte damit seine Möglichkeiten.

Doch wagt Peking zugleich ein riskantes Pokerspiel, indem es Gefahr läuft, am Ende wieder als Verbündeter Pjöngjangs gebrandmarkt zu werden. Sollte etwa öffentlich werden, dass Peking mit verdeckten Karten spielt, würde das in Washington Entrüstung auslösen. Dort halten viele ohnehin nichts von Verhandlungen mit dem Kim-Regime. Allerdings ist das auch der Grund, warum Peking keine andere Wahl als die jetzige diplomatische Offensive hat.

Unterstützt wird das chinesische Bemühen vor allem von Russland und Südkorea. Seoul hat bereits umfangreiche Hilfsmaßnahmen für den Norden in Aussicht gestellt, sollte sich der Atomstreit entspannen. In den USA und Japan sind die Regierungsparteien dagegen in sich zerstritten. In beiden Ländern befürworten die Außenministerien einen Verhandlungskompromiss mit Nordkorea, doch weite Teile von Republikanern und Liberaldemokraten sind dagegen und wollen allein auf Härte setzen. GEORG BLUME