piwik no script img

Archiv-Artikel

„Grüne Programmatik unsichtbar“

betr.: „Die Perspektive der Grünen: moderne Partei der Linken“, Debattenbeitrag von Frithjof Schmidt, Landesvorstandssprecher der Grünen NRW, taz vom 29. 7. 04

Seit der amtlichen Anleitung zur Körperschaftsteuererklärung 2003 habe ich keinen mitreißenderen Text gelesen als den des Doktor Schmidt. Für den Landesvorstand von Bündnis 90/Grünen soll der halbtags arbeiten? Das ist sicher eine Ente. Oder ist auch dieser Laden nun der allgegenwärtigen Qualitätsdegeneration von Politik zum Opfer gefallen? Jedenfalls macht er zweifelhafte Wahlanalysen zum Programm, kaut sich daraus eine „neue Mittelschicht“, die – das Sein bestimmt das Bewusstsein – aus Angst vor dem drohenden gesellschaftlichen Abstieg einen „open mind“ entwickelt hat, gar noch mit ökologisches Bewusstsein. Dieses Artefakt hat dann natürlich auch noch „heterogene Interessen“, die grüne Programmatik auf das Beste aufzufangen weiß. Das ist zumindest endlich einmal eine plausible Erklärung für tiefe Widersprüchlichkeit grüner Programme, die, Gottseidank, ohnehin keiner liest.

Grüne Programmatik, so es sie gibt, ist doch öffentlich vollkommen unsichtbar. Zu sehen ist engagierter Verbraucherschutz in Gestalt sofort lamentierender Ministerinnen, wenn einmal wieder eine BSE-Kuh torkelnd umgefallen ist. Zu hören ist auch ab und an ein Zwischenruf aus dem Bundesministerium für Umweltschutz und Reaktorsicherheit, wohl das Reservat von tapferen, aber gänzlich eingeschüchterten Grünen. Plus zweier permanent-penetrant präsenter Herren, Bütikofer und Fischer, die offenkundig Gewicht mit Gewichtigkeit verwechseln. An diesem Bild ändert auch der eine oder andere wackere Kommunalpolitiker nichts.

Dagegen steht die grüne Unterschrift unter dem puren Thatcherismus einer amoklaufenden Sozialdemokratie. Und die Mithaftung für solch schräge Kabinettskollegen wie den Staatssicherheitsminister Otto Schily, den senilen Stolpe oder den Vulgärökonomen Clement. Und nicht nur, dass diese Koalitionspolitik vom bösen Geist besessen scheint, auch rein handwerklich produziert sie legislativen und administrativen Schwachsinn zu Haufe. Bislang war der sonntagsbefragte Wähler der Meinung, dass es sich bei dem kleineren Koalitionspartner um den harmloseren und vielleicht aufrichtigeren handelt. Öffentliche Stellungnahmen wie die von Dr. Schmidt sind in fast parteischädigender Weise dazu geeignet, diese günstige Illusion zu zerstören, weil sie anzeigen: In diesen Köpfen ist ja genauso viel Scheiße.

Warum Schmidt, Apparatschik und Fdpist, allerdings auf dem Attribut “links“ besteht, ist schleierhaft. Geht es hier um den Erhalt biographischer Saturiertheit? Oder soll künftiger Konkurrenz vorgebeugt werden, wie sie beispielsweise in Gestalt der Wahlalternative gerade erwächst? Da stimmt zum ersten Male in der Geschichte der alte (und sibyllinische) grüne Slogan: „Wir sind nicht rechts, wir sind nicht links – sondern vorn“ und grüne Yuppies bestehen in penetranter Weise auf die recht überkomme, weil nun ziemlich unpräzise Einordnung „Links“. Ach, geht doch hin und [...] guckt, ob die neusten Kinderwagen wirklich verkehrstauglich sind. Das wäre wenigstens sinnvoll. SASCHA PH. RAUSCHENBERG, Düsseldorf