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Archiv-Artikel

Das unverwüstliche Washingtoner Orakel

US-Notenbankchef Alan Greenspan darf nichts zu Gerüchten über einen Herzanfall sagen. Er wird noch gebraucht

Wenn Alan Greenspan ernsthafte gesundheitliche Probleme hat, wird das erst dann aus dem Kreis seiner Vertrauten hinausdringen, wenn er mit den Füßen voran aus dem Gebäude der US-Notenbank (Fed) hinausgetragen wird. Gerüchte um einen angeblichen Herzanfall, wie sie der Finanznachrichtendienst MMS am Dienstag verbreitet hatte, gab es in den letzten Jahren immer wieder – bestätigt oder dementiert wurden sie nie. Die Fed kommentiert den Gesundheitszustand ihres Präsidenten grundsätzlich nicht. Und Greenspans eigene Standardantwort auf die Frage, wie es ihm gehe, ist: „Das darf ich Ihnen nicht sagen.“

Das Thema ist sensibel. Immerhin ist Greenspan der zweitmächtigste Mann der USA. Wenn er sich zu Wort meldet, hört man kein Flüstern und kein Schnäuzen mehr. Die Finanzwelt will nicht die leiseste Nuance versäumen. Denn der Fed-Chef hat die Andeutung zur Kunst erhoben. Seine kryptischen Äußerungen zur Lage der Wirtschaft haben ihm den Beinamen „Orakel von Washington“ eingebracht. Dabei haben die Beobachter beileibe nicht nur seine Politik im Blickfeld. Denn eine Erkrankung, die ihn zum Rücktritt zwingen würde, wäre auch das Ende einer Ära. Einer Ära, in der das Handeln der Notenbank wenn nicht berechenbar, so doch zumindest einigermaßen verlässlich ist. Immerhin ist der oberste Notenbanker schon seit 16 Jahren unter den verschiedensten Präsidenten im Amt. Und nun ist er bereits in einem Alter, in dem Gesundheitsprobleme an der Tagesordnung sind.

Trotzdem hat Greenspan zugesagt, auch für eine fünfte Amtszeit zur Verfügung zu stehen, „wenn der Präsident das möchte“. Dann würde der Fed-Chef erst 2006 nach 19 Jahren Amtszeit ausscheiden – als der mit Abstand älteste Präsident, den die US-Notenbank je hatte.

Dabei hätte sich Greenspan zu Beginn seiner Karriere wohl kaum träumen lassen, dass er noch so lange in der Verantwortung stehen würde. Der erst mit 51 Jahren nachträglich promovierte Wirtschaftswissenschaftler gilt als leidenschaftlicher Jazzmusiker. Er spielt Klarinette und Saxofon, studierte Musik und wollte eigentlich Profimusiker werden. Nach einer einjährigen Tournee mit der Henry Jerome Band wechselte er jedoch in die Ökonomie über. Nach dem Studium arbeitete er als Finanzberater, bis er – selbst Republikaner – Mitte der 70er-Jahre Wirtschaftsberater der republikanischen Präsidenten wurde.

Den Grundstein für seinen Mythos legte Greenspan gleich nach seiner Berufung zum Notenbankchef 1987, als er sich mit einem Börsencrash konfrontiert sah. Er meisterte die Krise, indem er den panischen Märkten Kapital in Aussicht stellte. In den 90er-Jahren begleitete er dann die bislang längste Wachstumsphase der US-Wirtschaft mit zunächst kleinen und dann überraschend großen Zinsschritten, die eine Blase verhinderten. In den letzten Krisenjahren verlor sich die Begeisterung für die Greenspan’sche Politik in Fachkreisen jedoch etwas – was auch daran liegen mag, dass die Rezession die Grenzen der Geldpolitik deutlich gemacht hat.

Der Öffentlichkeit ist das bislang egal, für sie ist Greenspan weiterhin Kult. Schon deshalb wird er wohl fit bleiben müssen. Georg W. Bush hat schon erklärt, dass er sich während des Wahlkampfes 2004 nicht mit der Suche nach einem Nachfolger beschäftigen will. BEATE WILLMS