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Archiv-Artikel

New Yorker Geschichten

Es ist nicht leicht, eine Begleitung zu finden, wenn man in ein Konzert von Woody Allen möchte. Doch das Berliner Gastspiel des Regisseurs und seiner Jazz-Kapelle war dennoch ein voller Erfolg

VON JOCHEN SCHMIDT

Die geradezu draufgängerische Idee, sich schon im März gleich zwei Karten für das Woody-Allen-Konzert in Berlin zu kaufen, war sicher gewagt gewesen. Denn was als Anfeuerung gedacht war, mir rechtzeitig eine Begleitung für das Konzert und damit vielleicht sogar eine Partnerin für den Sommer zu suchen, wurde mit der Zeit zur seelischen Belastung. Was nützt einem viel Zeit, wenn man eine Partnerin sucht? Was man braucht, ist wenig Zeit, sonst entscheidet man sich nie.

So tigerte ich wie einst Cäsar am Rubikon nächtelang durch meine Wohnung und überlegte. Anfangs fiel mir keine ein, die dieser Aufmerksamkeit würdig gewesen wäre. Es reichte ja nicht, dass sie Woody Allen mochte, sie sollte die Filme auch in der richtigen Reihenfolge bewerten können. Und es war nicht leicht, ein Mädchen zu finden, das sich sowohl für ihn als auch für mich interessierte. Im Grunde war das ja eine beruhigende Tatsache: Schließlich wollte ich nicht, dass man mich für die Eigenschaften schätzte, die ich an ihm schätzte.

Als der Termin näher rückte, hätte es mir irgendwann schon gereicht, überhaupt eine zu finden, die ohne Überredung mitgegangen wäre. Am Konzerttag hatte ich immer noch eine Karte zu viel. Meine Schwester fiel als Notnagel aus, sie war schwanger geworden. Und ein Bekannter, dem ich die Karte großzügig zum Geburtstag schenken wollte, lehnte einfach ab.

Alleine, auf dem Weg zum Tempodrom, fällt mir auf, dass meine Alterskohorte unterrepräsentiert ist. Woody Allen ist zwar fast 70, aber seine Zuhörer wirken noch ein bisschen älter. Angeblich geht er ja nicht zu Oscar-Verleihungen, weil sich der Termin mit seinen montäglichen Jazzkonzerten überschneidet. In den letzten Jahren war Woody Allen allerdings kaum mehr für den Oscar nominiert. Sein letzter Film „Hollywood ending“ lief zwar in Peru, aber nicht in Deutschland. Doch sein Konzert in Berlin ist dennoch ausverkauft, was mir die Suche nach einer Begleitung nicht leichter macht. Soll ich einfach eine Frau in der Schlange fragen, ob sie eine Karte möchte? Aber das wäre zu aufdringlich. Und mich vor den Massen aufbauen, die Stimme erheben, um die Aufmerksamkeit aller auf mich zu lenken? Unmöglich. Eine Weile ringe ich mit mir, schließlich geht es um 35 Euro, aber ich kann das einfach nicht. Was soll’s, denke ich, dann habe ich wenigstens die Armlehne für mich. Doch kurz bevor es losgeht setzt sich ein bulliger Sicherheitsmann im dunklen Anzug auf den freien Platz neben mir.

Unterwegs zum Tempodrom hatte ich schon das eigenartige Gefühl, Berlin habe allein durch die Anwesenheit Woody Allens eine besondere Aura bekommen. Das ändert sich nicht, als die Musiker pünktlich die Bühne betreten und ohne ein Wort loslegen. Woody Allen hat diese Musik, den New-Orleans-Jazz, den er in seiner Kindheit im Radio gehört hat, so konsequent in seinen Filmen eingesetzt, dass sie einen Pawlow’schen Reflex auslöst wie die Krombacher-Werbung im Fernsehen, bei der man immer enttäuscht ist, wenn danach kein Fußballspiel beginnt. Hier ist man im ersten Moment enttäuscht, dass jetzt kein Woody-Allen-Film kommt. Aber dann gibt man sich gerne mit der Musik zufrieden und versucht, aus den wenigen Gesten Woody Allens schlau zu werden und auf seine Laune zu schließen. Dann tritt er ans Mikro und sagt ein paar Worte, und schnell wird wird klar, dass ihm das Publikum auch einfach zwei Stunden beim Stottern zuhören würde, so begeistert reagiert es. „We’ll do the best, we can“, sagt er, und es kommen einem fast die Tränen, weil man nicht glauben kann, diese Stimme aus 40 Filmen einmal live zu hören. Vier Männer wackeln mit dem Knie, er mit dem linken. Auch der Sicherheitsmann neben mir kann nicht stillhalten, es ist ihm einfach zu langweilig. Er fächert sich mit der Karte Luft zu und kratzt sich im Takt der Musik einen Fleck aus der Hose. Bei jeder Zugabe grummelt er unzufrieden.

In Besprechungen von Woody-Allen-Konzerten hat es sich eingebürgert, darauf hinzuweisen, dass er nicht spielen könne und die Musik altmodisch sei. Dabei geht es hier doch gar nicht um brillante Klarinettentechnik, sondern um die Freude an der Musik, die Freiräume lässt für kleine Einlagen, Instrumententausch, Gesangsnummern mit wehmütigen und naiven Nonsens-Texten. Bei jedem Solo gibt es Zwischenapplaus. Es ist eine Musik, mit der man in Würde altern kann. Kann man sich dagegen die Red Hot Chili Peppers noch als 70-jährige so zeitlos musizierend auf der Bühne vorstellen?

Nach drei langen Zugaben ist Schluss, der Wachmann neben mir erlöst. Jetzt die Augen schließen und erst wieder aufmachen, wenn der nächste Film von Woody Allen im Kino läuft.