Blair will eine Krankenhauselite

aus London RALF SOTSCHECK

Ein Gesundheitssystem für das 21. Jahrhundert hatte Tony Blair den britischen Wählern bei seinem Amtsantritt versprochen. Das war vor gut sechs Jahren. Zunächst einmal tat sich gar nichts, die Wartelisten blieben hartnäckig lang, und dann kam der Winter 1999/2000. Eine Grippeepidemie sorgte dafür, dass Britanniens Krankenhäuser kurz vor dem Zusammenbruch standen. Operationen mussten verschoben werden, Patienten lagen tagelang auf Bahren in den Gängen, Leichen mussten in Kühllastwagen gelagert werden, weil die Leichenhallen überfüllt waren. Die Medien verglichen das britische Gesundheitssystem damals mit der Dritten Welt.

Blair, der um seine Wiederwahl bangte, versprach massive Investitionen, gekoppelt an weitreichende Reformen. Vor drei Jahren stellte er seinen Reformplan vor. In dem 143 Seiten dicken Papier war die Rede davon, die „Gesundheit der Nation“ zu verbessern. Neue Krankenhäuser sollten gebaut, neue medizinische Geräte angeschafft sowie mehr Krankenschwestern und Ärzte eingestellt werden. Dafür will Blair zusätzlich 40 Milliarden Pfund (58 Milliarden Euro) bis 2008 investieren.

Kernstück der Reformen sind die „foundation hospitals“: Krankenhäuser, die bisher besonders effizient gearbeitet haben und nun mehr Autonomie erhalten sollen. Die Leitung der Hospitäler darf ihre Angestellten übertariflich bezahlen, sie darf Geld von Banken leihen und die Einnahmen aus dem Verkauf von Land behalten.

Doch noch hat Tony Blair seine Reform nicht umgesetzt. Mehr als 60 Labour-Abgeordnete rebellierten im Mai gegen die Gesetzesvorlage, es war einer der größten Proteste bei einem innenpolitischen Thema.

Und auch die britischen Gewerkschaften wollen das Projekt des Premiers verhindern. Sie befürchten, dass die Erlaubnis für unterschiedliche Gehälter zu einem zweigleisigen Gesundheitssystem führen werde. Wenn die Elitekrankenhäuser mehr zahlen, können sie Ärzte und Krankenschwestern von anderen Krankenhäusern abwerben. Dadurch würden die „foundation hospitals“ dann noch leistungsstärker und würden noch mehr Zuschüsse, die nach Leistung bemessen sind, erhalten. Die Kluft zwischen der Elite der Krankenhäuser und den normalen Kliniken würde auf diese Weise immer weiter wachsen. Das sei zwar noch keine direkte Privatisierung, beklagt Exgesundheitsminister Frank Dobson, aber es sei ein erster Schritt in diese Richtung.

Bisher hat noch jede britische Regierung versucht, das Gesundheitssystem zu reformieren, sie sind alle daran gescheitert. Und Tony Blair wird das auch, glaubt Gill Morgan vom Nationalen Gesundheitsdienst. Sie beschuldigte die Labour-Regierung, praktische Verbesserungen im Gesundheitswesen zugunsten „effektheischender struktureller Änderungen“ wie der „foundation hospitals“ aufgegeben zu haben.

Der Erfolg der Gesundheitsreform würde aber nicht auf werbewirksamen Initiativen basieren, sondern vielmehr auf Veränderungen bei der Arbeitsorganisation, bei der Integration der Informationstechnologie und bei den Optionen für die Patienten auf lokaler Ebene, sagte sie und fügte hinzu: „Man kann große Verbesserungen herbeiführen, ohne die Struktur zu verändern, denn die perfekte Struktur gibt es nicht und wird es nie geben. In meinem Alter wird mir schwindlig, wenn dieselben Diskussionen und dieselben Optionen nun zum zweiten Mal die Runde machen – oder sogar zum dritten Mal.“