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Archiv-Artikel

Alte Visionen contra übliche Fakten

CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer träumt in der Haushaltsdebatte des Parlaments von vier Millionen Einwohnern und fordert Investitionen. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hält davon nichts und am harten Sparkurs fest

Er sah wie Nicolas Zimmer aus, und sein Name stand auch auf der Rednertafel des Parlaments. Doch was er sagte und wie er nach Investitionen und Visionen rief, klang nicht nach dem sonst soliden Haushälter und neuen CDU-Fraktionschef, sondern nach seinem pathetisch auftretenden Vorgänger Frank Steffel. „Die Berliner“, befand Zimmer in der Haushaltsdebatte, seien stets in der Lage gewesen, sich zu berappeln, „wenn man ihnen die Chance dazu gab“. Nicht die Misere akzeptieren will er, sondern von 4 statt derzeit 3,4 Millionen Einwohnern träumen. Wie forderte doch Steffel vor einem Jahr Visionen? „Berlin ist nicht die Stadt der Buchhalter, sondern der Pioniere, der Gründer.“

Berlins Oberbuchhalter hatte zuvor dargelegt, wieso das Land gut daran tut, erst wieder auf die Beine zu kommen, bevor es sich zur Decke streckt. Unerträglich hohe Arbeitslosenquote, wirtschaftlich auf dem Stand von 1990 und mit 14.000 Euro pro Einwohner verschuldet – Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) spulte die Fakten ruhig ab. Sein vom Senat beschlossener Sparhaushalt – „ein in dieser Form einmaliges Vorhaben“ – sei nicht die Problemlösung, doch ihr Anfang. Aber nur, so die unterschwellige Botschaft, wenn das Parlament bis zur Abstimmung im Dezember daran nicht rüttelt.

Von impulsgebenden Investitionen, wie Zimmer sie will, wie sie auch die Grünen fordern, hält er nichts. Konjunkturpolitik à la Keynes und Lafontaine? Für Sarrazin Mumpitz: „Der Anreiz für mehr unternehmerische Tätigkeit hängt nur sehr indirekt mit dem Umfang der Staatsausgaben zusammen. Das hat gerade die Erfahrung der vergangenen zwölf Jahre bewiesen.“ Entscheidend seien Qualität, Flexibilität und Intelligenz staatlichen Handelns. „Diese drei Elemente kann man auch dann steigern, wenn die Ausgaben sinken.“ Und sie sollen sinken: Bis 2007 will der Senat weitgehend auf neue Investitionen verzichten. Um diesen Kurs zu beschreiben, machte sich die SPD-Haushälterin Iris Spranger die Einschätzung anderer zu Eigen: „Ungewöhnlich entschlossen und manchmal brutal, aber auch mutig und erfrischend unkonventionell.“ Sarrazin sieht dazu keine Alternative. Nur so lasse sich beim Verfassungsgericht darlegen, dass Berlin nicht nur Hilfe fordert, sondern auch selbst ackert. Die Klage auf Bundesmilliarden werde „in den nächsten Tagen“ eingereicht.

Für Oliver Schruoffeneger (Grüne) nagt diese investitionsfreie Politik an der Zukunftschance der Stadt, dem Ausbau als Wissenschaftsstandort. Statt diese Chance zu nutzen, kippe der Senat den Umzug der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft und plane Studiengebühren. Sein Resümee: „Bildung, Jugend und Kinder – das ist der Steinbruch Ihrer Haushaltskürzungen.“ STEFAN ALBERTI