Trotzig am Tropf des Bundes

Das Beispiel des winzigen Zwei-Städte-Staats Bremen zeigt, wieso eine Neugliederung der Bundesländer wünschenswert wäre, aber fast aussichtslos ist

Die Stimmen kleiner Landesfürsten kann sich der Bund mit Geschenken sichern

aus Bremen MARKUS JOX

Fischfrikadelle mit Röstzwiebeln und Tomatenketchup: Ausgerechnet ihr preiswertestes Produkt – der Happen kostet gerade mal 1,50 Euro – hat eine bekannte Schnellimbisskette auf den Namen „Bremer“ getauft. Dabei steht das kleinste deutsche Bundesland eigentlich nicht in dem Ruf ausgeprägter Sparsamkeit. Für das Wohl und Wehe der 680.000 Einwohner Bremens und Bremerhavens rattert eine hochtourige Polit- und Verwaltungsmaschinerie: mit Parlamentsausschüssen, Deputationen, Senatsressorts, mit Oberverwaltungsgericht, Rechnungshof, Statistischem Landesamt – und so weiter und so fort.

Dieses politische Bremen gibt es natürlich nicht zum Discounter-Preis. Bremen ist ein „Nehmerland“ im Länderfinanzausgleich, und seit den 80er-Jahren steigt das jährliche Defizit, das heute etwa eine Milliarde Euro im Jahr ausmacht. Bremen ist seit 1993 „Haushaltsnotlageland“ und hängt am Tropf des Bundes. Damals konnte der Stadtstaat nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit der Bundesregierung einen Sanierungshilfevertrag aushandeln, nach fünf Jahren wurde die Vereinbarung noch einmal verlängert. Der Bund verpflichtete sich, dem klammen Bremen Gelder in Milliardenhöhe zuzuschießen. 2004 laufen diese Investitionsbeihilfen (bisher etwa 8,5 Milliarden Euro) aus; doch längst pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass das Land auch für 2005 nicht in der Lage sein wird, einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen.

Bereits 1972 hatte die so genannte Ernst-Kommission vergeblich vorgeschlagen, aus den norddeutschen Ländern ein oder höchstens zwei wirtschaftlich lebensfähige Länder zu bilden. Stimmen für einen „Nordstaat“ wurden auch 1990 laut, als man im Zuge der Wiedervereinigung überlegte, den Artikel 29 des Grundgesetzes zu reformieren. Darin heißt es, das Bundesgebiet „kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen“ könnten.

Allerdings schreibt das Grundgesetz für jede Länderneugliederung eine doppelte Legitimation vor: Wollte man etwa Bremen in Niedersachsen aufgehen lassen, bedürfte es nicht nur des Gesetzgebers, sondern es müssten in beiden Ländern Volksabstimmungen durchgeführt werden. Obwohl die gesamte politische Klasse Bremens die Bürger seit Jahren darauf einschwört, hier im Falle des Falles mit „Nein“ zu votieren, ist bei Meinungsumfragen nie mehr als eine knappe Mehrheit für die Eigenständigkeit herausgekommen.

Erst im Frühsommer hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) einen erneuten Versuch gestartet, das Thema auf die politische Agenda zu setzen: In der Debatte um eine Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung hatte sie zaghaft vorgeschlagen, man könne doch eine Länderneugliederung „andenken“. Der Staatssekretär im Finanzministerium, Volker Halsch, ging sogar so weit, Bundesländern, die sich einer Länderneugliederung verweigerten, mit einer Kürzung der Bundeszuschüsse zu drohen. Doch die ihre Territorien mit Zähnen und Klauen verteidigenden Länderfürsten und die Macher in Union und SPD haben derlei Vorschläge vom Tisch gewischt: Als in der vergangenen Woche eine Kommission zur Föderalismusreform eingesetzt wurde, setzten Rote und Schwarze durch, dass das Thema Länderneugliederung bei den Verhandlungen ausgeklammert wird.

Die Selbstständigkeit wird kaum als Gestaltungsraum genutzt

Auch als der Chef der bremischen Senatskanzlei vor zwei Jahren Modelle einer länderübergreifenden Zusammenarbeit mit den niedersächsischen Umlandgemeinden ohne förmliche Fusion ins Spiel brachte, wurde er rasch zurückgepfiffen. Bisher haben Bremen und Niedersachsen nicht viel mehr Gemeinsames vorzuweisen als einen Verkehrsverbund, die Kooperation, wenn es um einen neuen Tiefwasserhafen geht, sowie Überlegungen, einige Landesämter zusammenzulegen. Die „Eigenständigkeit“ Bremens wiederum wird de facto kaum als eigener politischer Gestaltungsspielraum genutzt, sondern vorwiegend dafür, mit der Finanzkraft eines Bundeslandes für eine Großstadt Wirtschaftsförderung und Lobbyarbeit zu betreiben.

Jüngste bizarre Volte in der Existenzsicherungspolitik Bremens: Das Land klammert sich an einen „Kanzler-Brief“. Gerhard Schröder hatte, um die Steuerreform im Jahr 2000 durch den Bundesrat zu bringen, ein Schreiben nach Bremen geschickt. Darin versicherte er der großen Koalition, dass der finanzielle Status Bremens durch die Steuerreform nicht verschlechtert werde. Während die Exegeten dieses Briefs im Bremer Senat nun treuherzig davon ausgehen, dass der Bund auch die jetzigen Lücken im Etat schon brav stopfen wird, halten Skeptiker wie der Bremer SPD-Bundestagsabgeordnete Volker Kröning den „Kanzlerbrief“ lediglich für eine „Goodwill-Erklärung“.

Irgendwie, da ist sich das politische Bremen sicher, wird man schon weiterwursteln dürfen. Exbürgermeister Hans Koschnick (SPD) hatte dafür einmal eine besonders aparte Erklärung parat: „Nichts ist für den Bund bequemer als kleine, schwache Landesfürsten, deren Stimmen man sich man mit kleinen Geschenken sichern kann.“