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Archiv-Artikel

Glaubenskampf auf dem Heiligen Berg

AUS MÜNCHEN JÖRG SCHALLENBERG

Das ist die Geschichte von den zwei Mönchen Anselm und Johannes, zwei Männern, die zu Demut und Enthaltsamkeit verpflichtet sind, aber eben auch, den Reichtum des Herrn zu mehren. Jahrhundertelang haben die Benediktiner auf Kloster Andechs von ihrer eigenen Hände Arbeit gelebt. Einer, der besonders gut wirtschaften konnte, ist nun aber zum Auslöser eines Streites geworden, der die Klostermauern in ihren Grundfesten erschüttert.

Die Wahl

Drei Wahlgänge soll es gegeben haben, und am Ende war angeblich eine Stimme ausschlaggebend. Genaueres erfährt man nicht, denn die Entscheidung war streng geheim – so wie jede in den letzten 548 Jahren. So stand nur eines fest, als am Mittag des 23. Juli im Jahre 2003 nach Christi die Glocken der Benediktiner-Abtei St. Bonifaz in München läuteten: Der Konvent der 24 Mönche von Andechs hat einen neuen Abt.

Wer das sein würde, das interessierte nicht nur die Mönche brennend. Denn die Benediktiner von St. Bonifaz führen auch das Kloster Andechs, das draußen vor der Stadt auf dem Heiligen Berg am Ammersee thront und vor allem durch sein selbst gebrautes, wohlschmeckendes und wegen des hohen Alkoholgehalts gefürchtetes Bier weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt ist. Vor allem die Medien tippten auf Prior Anselm Bilgri als neuen Abt.

Denn Bilgri, damals 49, war das Gesicht des Kloster Andechs. Der redegewandte und fröhliche Pater ging selten einem Mikrofon aus dem Weg, im Bayerischen Fernsehen moderierte er sogar die Sendung „Andechser Gespräche“. Als Cellerar, also Finanzchef des Klosters, hatte Anselm zudem seit 1986 einen florierenden Wirtschaftsbetrieb rund um die Klosterschänke und die eigene Brauerei aufgebaut, zu dem Lizenzprodukte ebenso gehörten wie die jährlichen „Orff-Festspiele“, eine Schnapsbrennerei, mehrere Gaststätten und schließlich die Restaurantkette namens „Der Andechser“. Für Bilgri wäre die Wahl zum Abt die Krönung seiner bisherigen Arbeit gewesen.

Doch der Herr geht manchmal seine eigenen Wege. Und so wurde nicht der Manager im Ordenskleid, sondern ein anderer Nachfolger des bisherigen Abts Odilo. Sein Name: Johannes Eckert. Ein zurückhaltender junger Mann von 35 Jahren, der aber ebenfalls als moderner Geistlicher galt. Er hatte sich schon neben seinem Theologiestudium mit BWL und Management beschäftigt und als Praktikant bei BMW reingeschnuppert. Seine Diplomarbeit trug den Titel: „Dienen statt Herrschen. Unternehmenskultur und Ordensspiritualität“.

Der Kampf

Nun hätte man sich eigentlich zurücklehnen können: Zwei Teilzeit-Ökonomen an der Spitze des Klosters, das versprach noch goldenere Zeiten für die Geistlichen von Andechs. Und es wäre vielleicht auch so gekommen, hätte Abt Eckert nicht beschlossen, den ersten Teil des Titel seiner Dissertation doch lieber umzudrehen.

Doch seit seiner Wahl tobt ein erbitterter Machtkampf hinter den Mauern der Bruderschaft. Abt Eckert begann nach seiner Ernennung im Juli 2003 unverzüglich damit, seinen Cellerar Bilgri zu entmachten: Er strich ihm wesentliche Entscheidungsbefugnisse und stellte ihm drei Mönche und einen Subprior als ständige Kontrolleure an die Seite.

Für Beobachter des Klosterlebens von Andechs war damit klar, dass in einem seit langem schwelenden Konflikt die konservative Seite dabei war, sich durchzusetzen: jene Mönche rund um Abt Johannes Eckert und Pater Korbinian Linsemann, denen das offensive Auftreten Anselm Bilgris in der Öffentlichkeit ebenso missfiel wie seine ständig neuen Pläne.

Als Bilgri ein Pilgerhotel plante, um die maroden landwirtschaftlichen Betriebe des Klosters zu sanieren, hatte er endgültig den Bogen überspannt. Einige Mitbrüder warfen ihm ein selbstherrliches und eigenmächtiges Handeln vor. Und einer witzelte: „Es ist Anselm egal, wer unter ihm Abt ist.“

Die Anhänger Bilgris konstatierten dagegen Neid und Missgunst: „Wenn der morgen ins Kloster zurückkehrt und dort auch nur Kartoffeln schält, hat er mehr Charisma als die anderen zusammen.“ Doch Anselm Bilgri hat den Heiligen Berg mittlerweile verlassen und erklärt: „In Andechs gibt es keinen Platz mehr für mich.“ Von finsteren Intrigen und heftigen Auseinandersetzungen war zuvor die Rede gewesen, Verweise auf Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ machten die Runde. Vergiftet wurde freilich niemand, dafür erhielt Bilgris Mitarbeiter Jürgen Schott, der für die Orff-Festspiele zuständig war, eine Strafanzeige wegen Untreue und zugleich Hausverbot – was Bilgri zutiefst verbitterte: „Wenn man mit mir nur fünf Minuten geredet hätte, wäre offenbar geworden, dass die Anschuldigungen jeglicher Grundlage entbehren.“

Das Verfahren

Der jüngste Höhepunkt des Machtkampfes ist nun die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Zum Kloster gehört seit 2001 eine Aktiengesellschaft, die vor allem für die Restaurantkette „Der Andechser“ zuständig ist, der inzwischen neun Betriebe von Bremen bis Ulm angehören. In dieser Woche hat das Amtsgericht Ulm das Insolvenzverfahren gegen sie eröffnet. Erneut stehen sich Johannes Eckert und Anselm Bilgri gegenüber.

Eckerts rechte Hand, Pater Korbinian Linsenmann, Mitglied im Vorstand der Gastronomie AG, hatte den Insolvenzantrag eingereicht, ohne seinen Vorstandskollegen Rainer Staiger zu informieren. Obwohl dieser schwäbische Unternehmer wie das Kloster 42 Prozent der Anteile an der Gesellschaft hält. Staiger ist mit Anselm Bilgri befreundet und berief nach dem Insolvenzantrag wutschnaubend die Presse ein. Drohte Abt Eckert sogar mit einem gerichtlichen Amtsenthebungsverfahren. Nicht als Abt wohlgemerkt, sondern in dessen Funktion als Aufsichtratsvorsitzender der Gastronomie AG.

Die Fronten sind verhärtet: Unternehmer Staiger wirft Eckert und Linsenmann vor, ihre Posten an der Spitze der AG sträflich vernachlässigt zu haben. Dadurch sei nicht nur die nötige Expansion verhindert worden, sondern die Restaurantkette auch noch ins Schleudern geraten. Und Anselm Bilgri assistiert. Er verweist auf eine Analyse der Bayerischen Treuhand-Gesellschaft vom Juni 2003, die den damals noch von Bilgri geführten Wirtschaftsbetrieben des Klosters erstklassige Zahlen bescheinigt. Mit der Einschränkung, dass „die Vermögenslage aber durch die fortgesetzten überhöhten Entnahmen angespannt“ sei. Was wohl heißen soll: Die Mönche leben auf etwas zu großem Fuße.

Auf dem Heiligen Berg sieht man alles ganz anders. In einer Pressemitteilung heißt es: „Pater Korbinian ist von seinem Vorstandskollegen Rainer Staiger daran gehindert worden, sich selbst ein Bild über die aktuelle Liquiditätssituation sowie über die wirtschaftliche Gesamtlage des Unternehmens zu verschaffen.“ Angeblich soll Staiger entscheidende Daten zur Wirtschaftslage der Gastronomie AG über Monate zurückgehalten haben.

Staiger und Bilgri bestreiten, dass ein Insolvenzantrag überhaupt nötig ist. Liquiditätsprobleme hätten aus eigenen Mitteln bewältigt werden können. Das Kloster hält dagegen: Der Insolvenzantrag habe „wegen drohender und bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit“ unverzüglich gestellt werden müssen. Nicht nur Rainer Staiger vermutet ein weiteres Motiv: „Der Abt will mich hinauskatapultieren und die absolute Herrschaft über die Gesellschaft erreichen.“

Das Schweigen

Doch die Kontrahenten reden schon lange nicht mehr miteinander. Abt Johannes Eckert weigert sich beharrlich, zu den aktuellen Vorgängen Stellung zu nehmen, und wird von Unternehmer Staiger mit den Worten zitiert: „Unter vier Augen unterhalte ich mich mit ihnen nur im Beichtstuhl.“ Das alles darf man getrost als Hinweis darauf nehmen, mit welch harten Bandagen der Kampf inzwischen ausgetragen wird – und wie bedeutsam er ist. Denn im Kern geht es darum, wie weit sich das auf Spiritualität ausgelegte Leben im Kloster mit einem strikt nach kapitalistischen Regeln funktionierenden, immer weiter wachsenden Wirtschaftsunternehmen verträgt. Zwar hat Abt Eckert in der Vergangenheit betont, dass alle wirtschaftlichen Aktivitäten des Klosters nicht in Frage gestellt werden – er hat allerdings auch keine Wahl: Denn die Benediktiner bekommen kein Geld aus der Kirchensteuer, sondern müssen ihren Lebensunterhalt, wie es bereits der Ordensgründer Benedikt von Nursia vorgab, „mit ihrer eigenen Hände Arbeit“ selbst verdienen.

Ob damit aber ein rasant expandierendes Wirtschaftsunternehmen gemeint ist, wird auf dem Heiligen Berg zunehmend bezweifelt. Zumal der Abt und seine Vertrauten möglicherweise erkannt haben, dass ein paar Kurse in Betriebswirtschaftslehre nicht ausreichen, um ein immer komplizierteres Gebilde zu überblicken und zu kontrollieren. Einem damit drohenden Machtverlust stemmen sie sich nun entgegen. Staigers jüngstes Angebot, den Aktienanteil des Klosters an der Gastronomie AG zu übernehmen und der Gesellschaft neue Mittel zuzuführen, fasst das Kloster als Affront auf.

Anselm Bilgri geht derweil eigene Wege: Er hat eine Beratungsfirma gegründet, die „Erkenntnisse und Erfahrungen der Philosophie und der Spiritualität des christlichen Abendlandes auf moderne Unternehmen und Organisationen“ übertragen soll. Kloster Andechs taugt da nur noch bedingt als gutes Beispiel.