bücher für randgruppen : Wissenschaftsstars
Zwei Lieferungen sind eingegangen, vom „Lexikon der bedeutenden Naturwissenschaftler“. Eine dritte und letzte Lieferung steht für Herbst 2004 ins Haus, doch das schöne, üppige Werk gefällt schon jetzt. Es füllt die Lücke zwischen der fünfzehn Bände umfassenden „Dictionary of Scientific Biographie“ und den schmalen Taschenbüchern, die auf hundert Seiten die gesamte naturwissenschaftliche Prominenz erfassen möchten. Hier ist mehr Raum, und so werden kleine, spannende Geschichten und Aufsätze in die Biografien eingeflochten, die auch etwas länger werden können, wenn es die „Bedeutung“ des Wissenschaftlers erlaubt. Doch wer und was gilt als bedeutend? „Nun“, verrät mir einer der drei Herausgeber Dr. Staffan Müller-Wille, „das ist sicher ein Knackpunkt. Wir hätten das Wort im Titel selbst nicht verwendet, aber der Verlag meinte, es wäre vorteilhafter.“
Tatsächlich haben die Herausgeber Dieter Hoffmann, Hubert Laitko, Staffan Müller-Wille und weitere zweihundert Autoren versucht, einen Bogen zu spannen, der von den antiken Klassikern wie Aristoteles zu den modernen wie Marie Curie reicht, aber auch unfreiwillige Wissenschaftler wie Columbus umfasst, der aufgrund eines Übersetzungsfehlers die Erde für kleiner hielt, als sie ist, und sich deshalb zu seiner berühmten Indienreise aufmachte. Es findet sich die autodidaktische Naturforscherin Amalie Dietrich, die nie etwas publizierte, wohl aber eine wichtige Sammlerin von zoologischen, ethnografischen Objekten war, Herbarien anlegte und verkaufte, sowie Friedrich II von Hohenstaufen, der heute vielleicht als bedeutender Wissenschaftsmanager bezeichnet würde. Er wird im Lexikon als „Erfahrungswissenschaftler, deutscher Kaiser und Wissenschaftsförderer“ geführt.
Der Gründer der Universität von Neapel (1224) ließ Kinder ohne Sprache aufziehen – um auf die Spur der Ursprache zu kommen: Hebräisch, Griechisch, Arabisch oder Lateinisch? Es finden sich Albrecht Dürer als autodidaktischer Mathematiker und die autodidaktische Newton-Übersetzerin Gabrielle Emilie de Chatelet. „Der Entdeckungsprozess ist unsystematisch“, bemerkt Staffan Müller-Wille und verscheucht eine Wespe, die sich unseren Biergläsern bedrohlich nähert. Träume, Illusionen und Zufälle können zu interessanten Ergebnissen führen, wie beispielsweise zur Entdeckung der Daguerreotypie durch Monsieur Daguerre. Während einerseits die Entdeckungen im Kontext ihrer kulturellen und historischen Epoche gesetzt werden, die private Motivation der Forscher dabei Erwähnung findet, zeigt das Lexikon anschaulich Zusammenhänge mit vorgehenden Wissenschaftstraditionen auf und richtet seinen Blick auch auf die Folgewirkungen.
Dass es dabei auch mal lustig sein will und auf Seite 399 mit der Abbildung einer Apple-Werbung den Descartes-Ausspruch „cogito, ergo sum“ als „I think, therefore iMac“ verkalauert, kann man sicher verkraften. Auf jeden Fall macht es Freude, hier herumzublättern, durchaus auch nach dem Zufallsprinzip. In der Fülle des zusammengestellten Materials ist viel Anregendes und Unbekanntes zu entdecken, beispielsweise wie im Grimm’schen Wörterbuch. Das Lexikon ist also nicht nur für Spezialisten interessant, sondern auch für den Dilettanten und Autodidakten.
Enthalten sind übrigens auch etliche Wissenschaftler aus dem arabischen Bereich, etwa der Universalgelehrte Al-Birumi (973–1048) oder einige russische, während die chinesische Wissenschaft leider ein weißer Fleck bleibt. Und während sich besagte Wespe in der Ankerklause an der Scheide zwischen Kreuzberg-Neukölln aufmacht, unsere Nachbarn zu belästigen, warten wir gespannt auf den dritten Band mit Z – wie Zuse, Konrad.
Wolfgang Müller
Dieter Hoffman, Staffan Müller-Wille, Hubert Laitko (Hrsg.): „Lexikon der bedeutenden Naturwissenschaftler“,3 Bände, pro Band 99 Euro, SpektrumAkademischer Verlag, München 2004