Der schweigsame Fliesenzähler

Torsten Spanneberg, von Beruf Profischwimmer und Student, geht am 18. August in Athen beim 100-Meter-Freistil an den Start. Einst galt der Hallenser beim Deutschen Schwimmverband als größtes Talent – heute als reelle Berliner Hoffnung

CORNELIUS WÜLLENKEMPER

Immer sonntags hat er frei. Da geht es ihm nicht anders als den meisten anderen hier in Prenzlauer Berg. Und wie man es so macht an einem Sonntag im Café: Man spricht über das Partyleben, das Studium, das Wetter. Nichts, aber auch wirklich gar nichts deutet darauf hin, dass an diesem jungen Mann etwas besonders ist.

Torsten Spanneberg, von Beruf Profischwimmer, ist das ganz recht so. Er schwimmt eben. Okay, er schwimmt gut, sehr gut sogar. Aber ist es wirklich etwas so Besonderes, Tag für Tag die Kacheln am Boden des Beckens zu zählen? Im Falle seiner Trainingspartnerin Franziska van Almsick ja. Sie muss das: in Athen eine nationale Aufgabe erfüllen, Gold holen und ganz Deutschland mit ihrem Siegerlächeln erfreuen. Torsten Spanneberg hingegen geht für Torsten Spanneberg an den Start.

So war das, als er vor zwölf Jahren seine Karriere begann, und so wird es auch am Mittwoch, den 18. August sein, wenn in Athen das 100-Meter-Freistil-Finale der Männer stattfindet. Ob mit oder ohne ihn. Spanneberg, der einzige männliche Berliner Schwimmer, der in Athen für Deutschland vom Startblock springen wird, hält sich im Hintergrund. Der Sport, das ist sein Beruf und fertig. Ein Job, den er allerdings mit großem Pflichtbewusstsein ausübt. Wohlgemerkt die Arbeit im Becken. Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache, das sollen andere machen. Er, „Spanne“, wie sie ihn rufen, glänzt auf diesem Gebiet schon fast mit Arbeitsverweigerung. Spektakuläre Interviews mit Einzelheiten aus seinem Privatleben – nein danke.

Und so ist es auch der Blick in seine sportliche Vita, die am meisten über ihn erzählt: Das Schwimmen hat er 1981 in Halle an der Saale gelernt. Da war er sechs Jahre alt. Die DDR-Sportlerförderung „entdeckte“ ihn dann aufgrund seiner außergewöhnlich sportlichen Leistungsfähigkeit als Nachwuchstalent und delegierte ihn an die Kinder- und Jugendsportschule Halle. Zwischen Handball und Schwimmen durfte er wählen – und entschied sich für Letzteres: „Das Herumrennen auf dem Handballcourt war mir einfach zu langweilig.“

Die Entscheidung war offenbar richtig: Als er 1995 bei den Europameisterschaften vier Medaillen nach Hause brachte, wurde er gar als „größtes DSV-Schwimmtalent“ gepriesen. Der Abschied Spannebergs aus Halle im Jahr 1997 ging allerdings nicht ganz ohne Reibereien ab. Was ihn plötzlich nach Berlin zog, war nicht nur seine damalige Freundin und das BWL-Studium, sondern auch die „Differenzen“ mit seinem langjährigen Trainer Frank Embacher. Doch mit diesem Kapitel hat er abgeschlossen: „Lassen wir das, heute reden wir wieder miteinander, und das soll auch so bleiben.“

Mit dem Umzug nach Berlin begann jedenfalls die Phase, die man wohl als Tiefpunkt Spannebergs sportlicher Karriere bezeichnen kann. Als er 1996 die Olympiaqualifikation nicht erreichte, dachte er sogar ans Aufhören. „Ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel“, sagt er, „sonst würde ich heute nicht mehr schwimmen.“

Für den schwimmmüden Spanneberg war damals Norbert Warnatsch der Mann der Stunde. Als aufgrund einer Erkrankung 1997/98 die Entscheidung getroffen werden musste, mit dem Leistungssport aufzuhören oder weiterzumachen, überzeugte Warnatsch ihn davon, seine Karriere mit 25 Jahren noch nicht aufzugeben. „Lass es uns versuchen, aber wenn, dann richtig.“ Und plötzlich kam der Erfolg zurück. Nach der Teilnahme an der Olympiade 2000 (Bronze in 4-x-100-m-Lagen) feierte „er im Jahr 2001 endgültig sein Comeback, wurde Deutscher Meister über 50 Meter Freistil, gewann die Deutschen Kurzbahnmeisterschaften in der gleichen Disziplin und setzte diese Erfolgsserie auch 2002 fort (1. Platz 100 Meter Freistil).

Vielleicht ist er schon zu lange im Geschäft und kennt die Zerbrechlichkeit sportlicher Wunschträume zu gut, um sich übermäßige Hoffnungen auf das große Absahnen in Athen zu machen. Aber zumindest hofft er auf die Teilnahme am 100-Meter-Freistil-Finale und vielleicht eine persönliche Rekordzeit. Am meisten Chancen rechnet er sich aus für die 4-x-100-Meter-Freistil-Staffel, für die er sich allerdings noch innerhalb des deutschen Teams qualifizieren muss. Es ist die Disziplin, in der er die meisten Erfolge seiner Karriere verbucht hat und in der jeder kleinste Fehler des Gegners den Sieg der eigenen Mannschaft bedeuten kann. Spanneberg jedenfalls hat, bis es so weit ist, alles dafür getan, dass er ihm nicht unterläuft – der Fehler, der das Rennen entscheidet.