Der Retter des Tinnitus

Marco Haas alias T.Raumschmiere ist und bleibt der König des Techno-Punk. Unter ihm wird jeder Dancefloor zur Pogo-Hölle. Ein Gespräch über Trucker-Caps, Zerstörungswut und den schlechten Einfluss der Steckdose

Interview JAN KEDVES

taz: Herr Haas, halb Berlin findet es zur Zeit schick, mit Trucker-Caps herumzulaufen, und Sie nennen Ihre jüngste Single „Monstertruckdriver“. Besteht da ein Zusammenhang?

Marco Haas: Na ja, seitdem ich den Bart habe und die Mütze trage, sagen alle zu mir: „Ey, du siehst aus wie ein Trucker!“ Der Titel passt aber auch, weil mein Vater Trucker war. Als ich klein war, bin ich immer bei ihm mitgefahren. So ein dickes Lenkrad in der Hand zu haben, war super. Damals wollte ich auch Trucker werden.

Jetzt machen Sie Musik.

Ja, aber so groß ist der Unterschied gar nicht. Wenn man die Maschine von so einem Truck anwirft, gibt das einen schönen Bass.

Ihr neues Album wird weltweit bei Novamute veröffentlicht. Sind Sie nun häufiger unterwegs als vorher?

Klar. Ich habe ja früher schon viele Shows gespielt, aber dass ich jetzt an einem Wochenende in drei verschiedenen Ländern bin und am nächsten Tag noch mal auf einen anderen Kontinent fliege, das ist schon eine Nummer krasser als vorher. Das kommt definitiv durch Mute, die arbeiten echt supergut an dem Thema.

Sie bezeichnen sich selbst als „Thema“? So wird das doch normalerweise nur im verhassten Plattenfirmen-Jargon genannt.

Na ja, das ist ein Business wie jedes andere auch. Natürlich geht es aber auch um die Musik, bei Mute brauche ich das ja gar nicht zu betonen. Die Betreuung, die man dort als Künstler erfährt, davon könnten sich manche Indielabels eine Scheibe abschneiden.

Haben Sie auf Tour denn jemanden dabei, der für Sie alles koordiniert?

Nein, das leider nicht. Manchmal hätte ich schon gerne einen Tourmanager, der nach den Shows das Geld eintreibt. Wenn ich immer besoffen irgendwelchen nicht auffindbaren Veranstaltern hinterher rennen muss, das ist schon Horror.

Was gibt Ihnen auf Reisen ein Gefühl von Zuhause?

Das zerknitterte Bild von meinem Sohn in meiner Laptoptasche.

Was haben Sie sonst noch dabei?

So wenig wie möglich. Neben meinem Rechner nur noch vier kleine Kisten. Synthesizer, Sampler, Effektgerät und ein kleines Keyboard. Das passt alles ins Handgepäck.

Nehmen Sie keinen Ersatz mit? Sie schmeißen die Geräte bei Ihren Shows doch gern mal durch die Gegend.

Nein. Ich behandle meine Maschinen zwar nicht gerade vorschriftsgemäß, das stimmt schon, aber komischerweise ist bis jetzt noch nichts kaputt gegangen. Neulich dachte ich mal, das Keyboard wäre kaputt und hab’s dann ins Publikum geworfen. Am nächsten Tag habe ich aber festgestellt, dass es nur am Kabel lag.

Haben Sie irgendwann mal ein Konzert von The Who gesehen und fanden es cool, wie Pete Townshend seine Gitarre kaputtschlägt?

Nein, das nicht, aber ich komme halt aus der Punkrock-Ecke. Da geht man auf die Bühne, um Energie rüberzubringen. Ich will mich nicht hinter meinem Laptop verkriechen und E-Mails checken. Das braucht keiner.

In letzter Zeit ist bei Ihren Liveacts öfters Miss Kittin dabei.

Ja, aber nur, wenn wir zufällig auf der gleichen Veranstaltung spielen. Dann kommt sie für „The Game Is Not Over“ auf die Bühne, das ist der Track, den wir zusammen für mein neues Album gemacht haben. Und danach geht sie wieder.

Wenn man den Track hört, wundert man sich ein wenig. Normalerweise kennt man Miss Kittin eher für nöligen Sprechgesang als für wildes Geschrei. Was haben Sie mit ihr angestellt?

Ich hab’ ihr gesagt, dass das bei mir nicht passt, wenn sie nur redet. Und ich hab’ ihr viel Whiskey gegeben.

Auf Ihrem neuen Album ist noch eine andere Frau dabei, MC Soom T aus Glasgow. Ihre Lyrics sind sehr politisch.

Ja, in ihrem Text geht’s darum, sich zu organisieren und Systeme zu entmachten. Soom T hat mir erzählt, dass sie dadurch inspiriert wurde, dass vor dem Irakkrieg weltweit so viele Leute auf der Straße für das Gleiche eingetreten sind. Selbst die Medien konnten das nicht mehr vertuschen.

Genützt hat es dann leider doch nichts.

Das ist aber kein Grund, nicht doch auf die Straße zu gehen. Obwohl noch ein wenig der Schritt zum Radikalen fehlt. Im Moment geht’s einem hier noch zu gut, die Leute sind noch zu sehr auf ihre eigene Sicherheit fixiert, als dass sie auch sagen würden: „Okay, ich scheiß auf meine Rente, ich schmeiß jetzt diesen Stein da rein.“ Platt ausgedrückt.

Diesen Schritt zum Radikalen haben Sie in Ihrer Musik bereits vollzogen.

Na ja, ich kann eben keine wohlklingende Dreiklangmusik machen, die einfach so im Kaufhaus laufen könnte. Ich mache Musik, um laut zu sein, um Leute zu rütteln. Und vor allem auch, um mich selbst zu rütteln.

Haben Sie schon mal ein Soundsystem zerschossen?

Ach, ständig! Einmal in New York war ich in so einem Club, dessen Motto war „If it’s too loud, you’re too old“. Ich hab’ zwei Songs gespielt, bumm, Anlage durch. Da haben alle gelacht. Und am nächsten Tag stand’s in der New York Times. Höhö.

Wenn man Ihre Musik hört, liegt die Vermutung nah, dass Sie als Kind mal mit einer Stricknadel in die Steckdose geraten sind.

Bin ich tatsächlich! Nicht mit einer Stricknadel, aber mit den Fingernägeln. Meine Eltern waren gerade dabei, die Wohnung zu renovieren, alle Tapeten waren ab und die Steckdosen lagen offen. Ich habe morgens vor der Schule Musik gehört und wollte dann den Stecker rausziehen. Dabei bin ich hängen geblieben, nur zwei Sekunden oder so, aber das war richtig krass. Mein ganzer Körper hat gewackelt und zwei Finger waren total verschmort.

Willkommen im Strom. So fing also alles an.

Ja, da bin ich dann drauf hängen geblieben.

Was würden Sie ohne Strom machen?

Ich würde einfach mehr Zeit mit meiner Süßen und meinem Sohn verbringen.

Freitag, 5. 9., 23 Uhr, Record Release-Party seines neuen Albums „Radio Blackout“. Außerdem dabei: Michael Mayer, Thomas Fehlmann. Maria am Ufer, Schillingbrücke, Friedrichshain