: Wachablösung in Fernost
Fantasy Filmfest in Hamburg: Während sich in den Filmen aus Hongkong die politische Verunsicherung reflektiert, ist Südkorea auf dem besten Weg, zur neuen Kino-Großmacht zu werden
von Volker Hummel
Längst ist das Fantasy Filmfest nicht nur das Jahreshighlight für Genrefans, sondern eine der herausragenden Gelegenheiten, asiatische Filme in Hamburg zu sehen. Mit sechs Produktionen aus Südkorea rückt dieses Jahr ein weiteres Mal ein Land in den „Focus Asia“, das aus der internationalen Festivalszene nicht mehr wegzudenken ist. Spätestens seit das Fantasy Filmfest 2000 mit Shiri einen der aufwendigsten Action-Blockbuster Südkoreas zeigte, ließ sich erahnen, dass die dortige Filmindustrie nicht nur fleißig von Hongkong kopiert, sondern der mächtigsten Film-Metropole Asiens in naher Zukunft den Rang ablaufen wird.
Das diesjährige Programm zeigt, dass es schon fast so weit ist. Während einige der Produktionen aus Südkorea schon jetzt als stilbildende Klassiker gelten können, herrscht bei den Filmen aus Hongkong nicht sonderlich innovatives Popcorn-Kino vor. Streifen wie The Park, The Twins Effect und Koma mögen unterhaltsam sein, lassen aber den wilden Einfallsreichtum und Stilwillen vermissen, mit dem Regisseure wie John Woo, Ringo Lam und Tsui Hark Ende der 80er die Hongkong-New-Wave einleiteten. Infolge der Umformung der britischen Kronkolonie zur Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China am 1. Juli 1997 hat sich die Filmlandschaft Hongkongs grundlegend gewandelt. Zur politischen Ungewissheit kam im selben Jahr ein Börsencrash, der zur Krise vieler Studios führte.
Mit Infernal Affairs (2002) zeigt das Fantasy Filmfest einen der erfolgreichsten Filme der Geschichte Hongkongs, der einen möglichen Weg aus der Krise zeigt, nämlich die Bündelung aller verbleibenden Star-Ressourcen. Großzügig besetzt mit Ikonen wie Andy Lau, Tony Leung, Eric Tsang, Anthony Wong, gespickt mit Songs von Canto-Popstars und inszeniert in der Ästhetik globaler Markenkommunikation, setzten die Macher auf international vermarktbare Blockbuster-Prinzipien. Die Story um zwei Maulwürfe, der eine bei den Triaden, der andere bei der Polizei, die jeweils an der Enthüllung des anderen arbeiten, kreist intelligent um Identitäts- und Loyalitätsfragen, die mit Hongkongs Rückgabe an China auch im Genre-Kino eine immer größere Rolle spielen. Und die im schnell nachgeschobenen Prequel „Infernal Affairs II“ (2003) weiter auf die Spitze getrieben werden, in einem ungemein komplexen Reigen sich verschiebender Loyalitäten, verborgener Freund- und Feindschaften und undurchsichtiger Motive.
Die Verbindung von komplexen Fragestellungen und Genre-Elementen gelingt derzeit jedoch nirgends so spannend wie in Südkorea. Ein herausragendes Beispiel ist Bong Joon-hos Memories of Murder, der cleverste Serialkiller-Film der letzten Jahre. Anhand des wahren Falls eines koreanischen Serienmörders, der Anfang der 90er viele Frauen vergewaltigte und zerstückelte, gelingt dem Regisseur ein atmosphärisch dichtes Porträt eines Landes, das sich gerade erst von vielen Jahren politischer Diktatur zu erholen beginnt. Diese sind immer noch sichtbar in den willkürlichen und brutalen Methoden, derer sich die Cops bei ihrer Suche bedienen.
Weniger stringent in seinem Umgang mit Gewalt ist Jang Jun-hwans filmischer Exzess Save the Green Planet, der eigenhändig das Genre der Folterkomödie begründet. Die Geschichte eines verrückten Geschwisterpaares, das einen Konzernchef entführt, um ihm mit brutalen Methoden das Geheimnis einer Alien-Weltherrschaft abzuringen, schwankt wild zwischen vollkommenem Wahnwitz und Sozialkritik hin und her. Problematisch ist dabei die Darstellung der Gewalt, die etwas allzu nonchalant für verschiedenste Zwecke eingesetzt wird – mal als Gag, mal als Schock und dann wieder, um Mitleid mit den Protagonisten zu erwecken.
Einen konsequenteren Umgang mit Gewalt darf man sich von Regisseur Park Chan-wook erhoffen, dessen im letzten Jahr gezeigter Film Sympathy for Mr. Vengeance Südkorea als Ort unüberbrückbarer Abgründe und hoffnungsloser Isolation darstellte. Man darf gespannt sein, ob der seinem neuen Opus Old Boy vorausgehende Hype – immerhin soll er schon Jury-Präsident Quentin Tarantino in Cannes in Entzücken versetzt haben – gerechtfertigt ist. Die Geschichte um den Rachefeldzug eines Jedermanns, der aufgrund ihm unbekannter Umstände 15 Jahre in einem Gefängnis verbringen musste, verspricht nicht nur lebendig vertilgte Tintenfische und Zahnoperationen ohne Betäubung, sondern auch einen sozialkritischen Subtext, der diese Gewaltoper als Porträt einer tief gespaltenen und von ihrer Vergangenheit belasteten Gesellschaft kenntlich macht.
„Infernal Affairs“: 12.8., 21.15 Uhr; „Infernal Affairs II“: 16.8., 19 Uhr; „Memories of Murder“: 18.8., 19 Uhr; 11.–18.8., Cinemaxx am Dammtor