Die Schulden steigen

In den USA bringen wachsende Unigebühren das Hochschulsystem durcheinander. Viele Kinder des Mittelstands verzichten aufs Studium, die Gebührenschulden erreichen die 100.000-Dollar-Grenze

VON ANDREA CRAWFORD

Schon viele amerikanische Präsidentschaftskandidaten haben sich für eine Universitätsbildung eingesetzt, die weniger teuer ist als bisher. Auch George W. Bush übrigens, als er im Jahr 2000 versprach, das Stipendienprogramm der US-Bundesregierung zu erhöhen. Allerdings hat Bush dies nicht umgesetzt.

Der erste bedeutsame Kandidat, der sich für ein anderes System aussprach, ist John Edwards, der Vize des demokratischen Bewerbers John Kerry. Er will, dass sich die USA dem annähern, was anderen Industriestaaten entspricht: Die Universitätsbildung öffentlichen zu finanzieren. Edwards will Studierenden an öffentlichen Unis das erste Studienjahr schenken.

Die fortschrittlichen Kräfte in den USA, die universitäre ebenso wie die Schulbildung als grundlegendes Bürgerrecht betrachten, haben ein leuchtendes Beispiel vor Augen: Deutschland. Nun debattiert genau dieses Land darüber, ob und wie es Studierende künftig zur Kasse bitten kann. Ein Blick auf die Krise der Finanzierung der US-Unis kann da nicht schaden.

In den vergangenen Jahren sind aus „staatlich unterstützten“ mehr und mehr „staatlich geförderte“ Einrichtungen geworden – ihr Grad an öffentlicher Finanzierung fiel unter 50 Prozent. (Die beste öffentliche US-Uni, die University of California Berkeley, bekommt gerade einmal 35 Prozent ihres Budgets vom Staat.) Die Differenz wird durch zwei Arten ausgeglichen: durch private Finanzierung durch wohlhabende Alumnis – und durch Studenten.

Universitätsgebühren steigen zwischen vier und neun Prozent pro Jahr an. Die jährlichen Nettogebühren lagen nach Angaben der „National Center for Education Statistics“ im Studienjahr 2001/2002 bei 9.199 Dollar. Die durchschnittliche Gebühr an privaten Unis bei 22.968 Dollar. Um diese Gebühren zahlen zu können, nehmen Studenten Kredite auf. Aus dem letzten Absolventenjahrgang hatte mehr als die Hälfte einen Kredit nötig, um das Studium finanzieren zu können. Der durchschnittliche Schuldenstand beim Examen lag 2002 bei 18.900 Dollar.

Das Kandidatenteam Kerry/Edwards schätzt, dass in den vergangenen drei Jahren 220.000 Jugendliche sich das Studium nicht leisten konnten – obwohl sie aus akademischer Sicht für die Universität qualifiziert gewesen wären. Die „Advisory Commission on Student Financial Assistence“ fand 2002 heraus, dass besonders Bewerber aus Geringverdiener- oder Mittelstandsfamilien betroffen sind. Wegen finanzieller Hürden verzichtete von ihnen nahezu die Hälfte darauf, ein vier oder fünf Jahre dauerndes Studium aufzunehmen.

Selbst am oberen Ende der sozialen Pyramide stellen Studiengebühren ein wachsendes Problem dar. Die Studenten der 28 besten Universitäten des Landes reißen tiefe Löcher in das Budget ihrer Eltern: 23 Prozent ihres Einkommens geben die Familien Wohlhabender inzwischen für Gebühren aus. Es ist heute völlig normal für junge Eltern, die Geburt ihrer Kinder als Startschuss fürs Bildungssparen zu nehmen. Sie tun dies in dem Wissen, dass sie in 18 Jahren rund 100.000 Dollar angespart haben müssen, um die Unigebühren eines Kindes finanzieren zu können.

Längst sind die hohen Gebühren für weiterführende Unis Anlass zu wachsender Sorge. Studenten, die eine medizinische oder juristische Karriere anstreben, häufen riesige Schuldenberge an. Die durchschnittliche Höhe von Krediten für einen juristischen Abschluss liegt nach Angaben der Lobbygruppe „Equal Justice Works“ bei 77.300 Dollar, Medizinstudenten müssen 104.000 Dollar zurückzahlen. Nach Angaben der „American Medical Student Association“ stiegen die Gebühren an öffentlichen medizinischen Fakultäten zwischen 1990 und 2000 um 40 Prozent, und die Summe der Schulden der Studenten verdoppelte sich.

Die hohen Schuldenstände beeinträchtigen mittlerweile die Berufswahl der Mediziner und Juristen. Angehende Ärzte werden gezwungen, Facharztrichtungen mit höheren Verdienstmöglichkeiten anzustreben, statt zum Beispiel als Hausarzt zu arbeiten. „Equal Justice Works“ hat herausgefunden, dass Gebührenschulden zwei Drittel der Studenten davon abgehalten hat, eine Laufbahn im Staatswesen oder im öffentlichen Dienst aufzunehmen.

Adolph L. Reed jr., Politikprofessor an der New University und Vorsitzender der Initiative „Free Higher Education“, sagt, die Gesamtrechnung, um allen Studenten an öffentlichen Unis die Gebühren zu bezahlen, liege bei rund 27 Milliarden Dollar. Das ist weniger als ein Drittel dessen, was Bush in diesem Jahr im Irak ausgibt – und gerade ein Prozent des gesamten Bundesbudgets.

Aber unabhängig davon, ob der Vorschlag der Gebührenfreiheit realistisch ist oder nicht: Die Kampagne für freie Bildung unterstreicht deren Krise. Öffentliche Bildung gerät zunehmend außer Reichweite für viele Studenten. Unterdessen vertiefen die Budgetrisiken sogar noch die Spaltung zwischen staatlichen und privaten Hochschulen. Das Brookings Institut resümierte 2003, „dass das relative Absinken der staatlichen Ausgaben pro Student über die letzten beiden Jahrzehnte einen bemerkenswert negativen Effekt auf die Qualität dieser Institutionen hat“. Die Staaten lernen gerade, dass Studierende nicht die Etatkrise der Universitäten lösen können. Deutschland sollte in der gegenwärtigen Debatte davon Notiz nehmen.