: Die schwarzen Löcher
Alles Rechnen hilft nichts: Hamburgs Stadtsäckel ist schwindsüchtig. Ab Morgen berät die Bürgerschaft über einen Doppelhaushalt ohne Schulden, dessen Realitätsbezug gering ist
EINE ANALYSE VON SVEN-MICHAEL VEIT
Es wird sich nicht vermeiden lassen. Über die HSH Nordbank werden sie reden in der Bürgerschaft, und sie werden mindestens zwei Meinungen darüber haben, wer Schuld hat und ob die vorige Woche verkündete Lösung tatsächlich eine Lösung ist. Wegen der Schulreform werden Koalition und Opposition sich an den Kragen gehen, unsoziale Politik werden sie einander vorwerfen, und sie werden sich gegenseitig die Gestaltungsfähigkeit für eine rosige Zukunft der Freien und Hansestadt Hamburg absprechen.
Das gehört zum Ritual, wenn am morgigen Dienstag im Rathaus mit einer Generaldebatte die dreitägigen Beratungen über den Doppelhaushalt für die Jahre 2009 und 2010 beginnen. Dessen Halbwertzeit ist kurz. Im Sommer bereits wird alles neu gemacht. Ein Nachtragshaushalt muss aufgestellt werden, weil die Kosten aus dem Ruder laufen und die Einnahmen sinken.
10,739 Milliarden Euro umfasst der schwarz-grüne Haushalt für das laufende Jahr, um nur rund zwei Millionen soll er im Jahr 2010 steigen. Und alles werde „aus eigener Kraft, ohne Nettoneuverschuldung“ bezahlt, behauptete Finanzsenator Michael Freytag (CDU) bei der Präsentation des Entwurfs. Doch das war am 3. September vorigen Jahres und ist von der Realität längst überholt worden. Das Stadtsäckel hat Schwindsucht.
Einmal noch, am 11. November, gab es schwarze Zahlen zu verkünden. Ein Plus von 309 Millionen Euro an Steuereinnahmen für 2008 hatte die traditionelle Steuerschätzung im Herbst ergeben. Für die nächste Steuerschätzung im Mai 2009 sei zwar ein Minus von 237 Millionen zu befürchten, räumte Freytag ein, aber nach Adam Riese bliebe „ein Puffer von 72 Millionen Euro“. Hamburg werde auch 2009 keine Schulden machen müssen.
Zwei Wochen später war der Puffer bereits verpufft: Die Kosten für die Elbphilharmonie explodierten, der „Festpreis“ von 114 Millionen Euro für die öffentliche Hand wurde auf 323 Millionen Euro nach oben korrigiert.
Aber erst im neuen Jahr schlug die internationale Finanzkrise auch beim bisherigen Globalisierungsgewinner Hamburg zu: Für zwei Konjunkturprogramme gegen Depression und Rezession macht der Senat deshalb 323 Millionen Euro locker. Das heißt, er nimmt diese Summe zurzeit als Kredit auf.
Inzwischen dringt aus der Finanzbehörde die Kunde, dass die Steuerschätzung im Mai Verluste von mehr als 500 Millionen Euro vorhersagen wird: Das wäre gut das Doppelte der 237 Millionen Miese, die im November befürchtet worden waren.
Und zu schlechter Letzt stopften Hamburg und Schleswig-Holstein vorige Woche je 1,5 Milliarden Euro Cash in die HSH Nordbank und verkündeten, als käme es darauf nicht mehr an, für weitere jeweils fünf Milliarden auch noch gerade zu stehen. Das Geld müssen die Länder sich selbstredend leihen.
Welche Summen in schwarzen Löchern verschwinden werden, ist zurzeit nicht seriös zu berechnen. Sicher ist jedoch, dass noch nie in der Geschichte Hamburgs einem Finanzsenator sein Haushalt so um die Ohren geflogen ist wie jetzt Michael Freytag. An die zwei Milliarden Euro Schulden wird er machen müssen. Sicher, er persönlich war nicht der Auslöser der US-Immobilienkrise, auch liefen die Kostenberechnungen für die Elbphilharmonie nicht in seiner Ressortzuständigkeit – ein Stadtkämmerer jedoch, der noch vor vier Monaten sich rühmt, keine neuen Schulden machen zu müssen, und der noch vor fünf Monaten behauptet, die HSH Nordbank sei „im Kern gesund“, der setzt sich dem Verdacht aus, nicht weiter als bis übermorgen denken zu können. Und rechnen nur bis morgen.
So sieht das auch die rot-rote Opposition. Die SPD hat einen Haushaltsentwurf „für einen finanzierbaren Politikwechsel“ vorgelegt. 35 Anträge mit einem Volumen von 251,4 Millionen Euro hat sie in die Haushaltsberatungen eingebracht. Die Schwerpunkte liegen in der Bildungs-, Innen- und Wirtschaftspolitik und sind „ausnahmslos gegenfinanziert“, wie Fraktionschef Michael Neumann behauptet. Denn ausnahmslos schichtet die SPD Geld um, „das der Senat in überflüssige oder ineffektive Maßnahmen investieren will“, so Neumann. So bekommt man rein haushaltstechnisch Polizisten aus dem Präsidium auf die Reviere und stellt mehr Lehrer ein – für weniger gemeinsames Lernen.
Den ganz großen Wurf wagt die Linke nach dem Credo, wenn schon Schulden, dann nicht halbherzig. Auf Freytags Miese sattelt sie fröhlich eine weitere Milliarde Euro drauf. In 33 Anträgen fordert die Linke die Stärkung sozialer und kultureller Projekte und mehr Unterstützung für einkommensschwache Bevölkerungsschichten. Einsparvorschläge, analog zum sozialdemokratischen Umverteilungsmodell, hat sie auch, allerdings sind die nicht realisierbar: Elbphilharmonie und U 4 müssten selbst dann bezahlt werden, wenn die Bauarbeiten gestoppt würden, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder die Ausweitung von Steuerprüfungen ist Sache der Bundespolitik. Unterm Strich steht bei der Linken deshalb eine große rote Zahl mit ganz vielen Nullen.
Vergleichsweise bescheiden erscheinen da die kosmetischen Korrekturen der Regierungsfraktionen. Ein bisschen mehr Geld für Stadtteilkultur, Aids-Prävention oder interkulturelle Gewaltberatungsstellen stehen auf dem Wunschzettel der GAL, dazu zwölf zusätzliche LebensmittelkontrolleurInnen und 48 FinanzanwärterInnen für die Steuerverwaltung. „Grünes Regieren wirkt“, jubiliert GAL-Fraktionschef Jens Kerstan, ohne rot zu werden: „Wir färben die Stadt erfrischend grün ein.“
Sein Koalitionspartner hingegen sieht schwarz. Zwar möchte CDU-Finanzpolitiker Rüdiger Kruse nicht knauserig sein. 2,5 Millionen für die „verkehrsadaptive Netzsteuerung“ von Ampeln und gar 10.000 Euro für den Landesmusikrat will er schon springen lassen. Obwohl auch Kruse weiß, dass der zur Beratung in der Bürgerschaft vorgelegte Entwurf eines „ausgeglichenen Haushalts“ den Sommer nicht überstehen wird. Leider sei die „finanzpolitische Ausgangslage“, bedauert er, „derzeit nicht mehr so stabil“.
Früher hieß es, mit Geld könnten nur die Schwarzen umgehen. Mit dem schwarzen Freytag haben sie nicht gerechnet.