: Größer, lauter, rauer
Bürger gegen Hartz IV: Auf den Montagsdemos wird der Ton scharf. Rechte müssen draußen bleiben
MAGDEBURG/LEIPZIG/DRESDEN/KÖLN/DORTMUND taz ■ Magdeburg als Epizentrum: Von hier aus breitet sich der Protest gegen Hartz IV aus. Insgesamt sind am Montag im ganzen Bundesgebiet 40.000 Menschen gegen die Reformpläne der Regierung auf die Straße gegangen. Die meisten waren es in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts: Zur dritten Montagsdemonstration sind hier 12.000 Teilnehmer gekommen. Initiator Andreas Ehrholdt meint sogar, es seien „mindestens 15.000“.
Fest steht: Alles ist größer. Mehr Demonstranten, mehr Polizisten, mehr Transparente und: mehr Medienrummel. Eine Stunde vor Beginn der Demo lassen sich Journalisten den Frust der Demonstranten in den Block diktieren, während Kamermänner von dem Plakat „Blutsauger“ zu „Wir zerschlagen Hartz IV“ hetzen.
Auch der Lautsprecherwagen, den die IG Metall zur Verfügung stellt, ist größer geworden: Minivan statt Golf. Volksfeststimmung kommt bei der sengenden Hitze zwischen Dom, Hundertwasserhaus und Staatskanzlei auf: Die MLPD verkauft Fruchtsäfte zu 75 Cent, die IG Metall zapft Bier. Auf Tapeziertischen infomieren Zettel und Broschüren über die „Verbrechen“ der Regierung Schröder.
Den Frieden stören wollen – wie schon eine Woche zuvor – die Rechten. Kaum ist der Zug um kurz nach sechs gestartet, marschieren 70 Neonazis von der Seite auf und wollen sich an die Spitze setzen. Ihren Slogan „Den Volkszorn auf die Straße tragen“ haben sie diesmal nicht nur auf ihrem Plakat, sondern auch in altdeutschen Lettern auf Handzettel gepinselt. Antifa und andere linke Gruppen formieren sich. Die Polizei lässt die Rechten bis zum Ende des Zuges nicht zu den Demonstranten durch. Der Zug der Bürger zieht weiter.
Bernd Sickel, 55, läuft mit dem Mikrofon in der Hand neben dem Lautsprecherwagen her. Seit einer Woche organisiert er mit Ehrholdt die Demo. „Ob rot oder schwarz, wir wollen keinen Hartz“, brüllt er in das kleine Mikro. Die Masse nimmt den Satz auf, klatscht rhythmisch. Vor allem sind es Menschen über 50, aber auch Jugendliche. „Das hier geht uns alle etwas an“, sagen sie.
Zwei Straßen weiter versammeln sich die Demonstranten auf dem Domplatz. Sympathieträger Ehrholdt spricht: „Nächste Woche zeigen wir, dass heute nur eine Etappe war“, brüllt er in zwei Mikrofone und schwitzt dabei sehr. Doch für heute sei erst mal Schluss. Über ihre Handys erfahren Ehrholdt und Sickel, dass auch die Demonstrationen in anderen Städten erfolgreich waren. Wie in Leipzig.
Dort formierte sich am Montag nach 18 Uhr – zur Zeit der traditionellen Montagsdemonstrationen – der Zug mit 10.000 Gegnern des Sozialabbaus. Christian Führer, Pfarrer der Nikolaikirche, beteiligte sich selbst nicht am Marsch, hielt ihn aber für legitim. Erst für den 30. August ist in Leipzig ein Friedensgebet mit Großdemonstration geplant. Führer schloss nicht aus, dass dann auch Politiker wie Wirtschaftsminister Clement (SPD) oder Sachsens Ministerpräsident Milbradt (CDU) reden könnten. Der hatte sich am Montag geradezu für einen Auftritt angeboten, als er gegenüber der ARD sagte, man dürfe die Diskussion um Hartz IV nicht allein den Extremisten von links und rechts überlassen. Milbradt hatte Ende 2003 dem ersten Hartz-Kompromiss im Vermittlungsausschuss noch zugestimmt.
Rechtsextremisten störten den Leipziger Zug nicht auffällig. In Dresden gelang es den Organisatoren und einem dezenten Polizeieinsatz, eine Gruppe von 20 Neonazis und Sympathisanten vom Zug der 2.000 Demonstranten fern zu halten. Überraschend starken Beifall erhielt fundamentale Polemik, wenn etwa Mitglieder der Bundesregierung als „Lakaien des Kapitals“ bezeichnet wurden. Mit einer Live-Telefonschaltung zu einem Protest in Gelsenkirchen versuchten die Organisatoren, deutsch-deutsche Gemeinsamkeit im Widerstand gegen Sozialabbau zu demonstrieren.
Dort, in Nordrhein-Westfalen, tut man sich auch vierzehn Jahre nach der Wiedervereinigung schwer mit Ostimporten. Der Kreis derjenigen, die sich am Montagabend in mehreren Städten zu Montagsdemos versammelten, blieb sehr überschaubar. So zählten die Veranstalter in Gelsenkirchen 300, die Polizei 100 Teilnehmer. Auch in Köln und Dortmund war der Zulauf gering.
In Köln war etwa das „Komitee Kein Blut für Öl“ dabei, das seit dem Irakkrieg bei keiner Demonstration in der Domstadt fehlt. Die jugendlichen Aktivisten mit ihren unübersehbaren „Kein Blut für Öl“-T-Shirts forderten diesmal „Butter statt Kanonen – Hände weg vom DGB!“ auf ihrem riesigen Transparent. Kleiner war da das der Organisatoren. „Montagsdemo“ haben sie mit roter Farbe auf ein weißes Laken gepinselt. Rührend sieht das aus, so wie der gesamte Umzug, der an diesem wunderschönen Sommerabend vom Dom zur örtlichen SPD-Parteizentrale zieht. Weniger als 200 Menschen waren dem Aufruf des Kölner Arbeitslosenzentrums „Kalz“ und von Attac gefolgt. Vor dem SPD-Büro skandierten einige Heißsporne: „Hängt Schröder auf!“. Umgehend wurden sie von anderen gemaßregelt: „Wir sind auch gegen die Politik von Schröder. Aber das geht zu weit!“ Doch die lokale Sozialdemokratie erhörte die Rufe ohnehin nicht: Sie hatte schon Dienstschluss. Da nützte auch kein Klingeln. „Ich habe gezählt, wir sind 450 Leute“, ruft ein Redner zum Abschluss den Protestierenden zu. Auch wenn’s nicht stimmt, die Zahl macht wenigstens ein bisschen Mut. Entsprechend dankbar ist der Applaus.
„Nächsten Montag kommen wir wieder, und dann sind wir viel mehr!“, übt sich auch Martin Pausch in Zuversicht. Er hat die Demo in Dortmund organisiert. „Wir wollen die Reform so nicht. Wir werden das nicht einfach über die Sommerpause vergessen und schlucken, Irrtum, Herr Schröder!“, ruft der partei- und arbeitslose Medizintechniker den 200 Menschen zu, die sich vor der Reinoldikirche versammelt haben: Aktivisten des Dortmunder Sozialforums, von Attac, der Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit, Mitglieder der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie und des Erwerbslosenausschusses von Ver.di. Auch hier sind ein paar Trittbrettfahrer gekommen: Neonazis. Plötzlich entrollen sie ein großes Plakat. Die restlichen Demonstranten buhen und pfeifen. „Ihr seid hier nicht willkommen, verlasst diese Demonstration!“, ruft der Veranstalter den Rechtsextremen zu. Die ungebetenen Gäste ziehen wieder ab.
Die Rechten blieben diesmal außen vor. Je größer die Protestmärsche jedoch werden, desto größer könnte auch das Problem werden. Nicht nur deswegen merken etwa die Organisatoren in Magdeburg, dass ihnen die Größe der Veranstaltung allmählich über den Kopf wächst. „Wir brauchen ein paar Verbündete“, sagt Bernd Sickel erschöpft nach der Demo. Mittwochs soll es künftig Organisationstreffen geben. Die Gewerkschaften scheinen schon in den Startlöchern zu stehen. „Man muss das auf breitere Füße stellen“, sagt Axel Weber, Gewerkschaftssekretär der IG Metall. Welche Füße er damit meint, ist klar: „Wir werden uns mit den Veranstaltern besprechen.“ SASCHA TEGTMEIER, MICHAEL BARTSCH, PASCAL BEUCKER