Auf dem Sprung zur Königstigerklasse

Nach dem 5:0 gegen Banik Ostrava steht Bayer Leverkusen mit etwa 1,99 Beinen in der Champions League

LEVERKUSEN taz ■ Der Patient ist mit erfreulichem Befund aus der Nachsorgeuntersuchung entlassen worden. Nach einem Jahr schwerster Krankheit mit dem gerade noch abgewendeten Abstieg und einer Saison der Rehabilitation ohne internationale Präsenz, ist Bayer Leverkusen mit dem 5:0 im Hinspiel der Champions-League-Qualifikation gegen Banik Ostrava fast wieder dort, wo man sich zu Hause fühlt: In der „Königstigerklasse des Fußballs“, wie es Klaus Augenthaler nennt. Toppmöller ist weg, Calmund ist weg, Kaenzig, Lucio und einige andere sind auch nicht mehr da, aber der Zauber ist zurück in der BayArena. Es ist wahrlich eine heimtückische Krankheit gewesen, sie hat das Gesicht von Bayer Leverkusen verändert, und ihre Symptome lassen sich exemplarisch an den Leistungen des Brasilianers França ablesen.

Aus São Paulo gekommen, waren seine Auftritte monatelang so katastrophal, dass gezweifelt wurde, ob dieser Mann überhaupt ein Fußballspieler sei. Nach einer guten Saison zuletzt beglückt der Stürmer sein Publikum in der laufenden Spielzeit nun serienweise mit wunderbaren Anspielen in die Spitze und vor allem mit herrlichen Toren. Die Ursachen für diese Wendung liegen in den psychischen Tiefen des Fußballers und seines Klubs – Rätsel bleiben meist nach überstandenen Krankheiten dieser Schwere. Folglich vergisst man in Leverkusen lieber die Vergangenheit und preist die Gegenwart. „Letztlich haben wir heute einen überragenden França gesehen“, lobte Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser den dreifachen Torschützen, der schon beim 2:1 gegen Hannover ein Tor erzielt und eines vorbereitet hatte. Zwar tadelte Pädagoge Augenthaler das Abwehrverhalten des Brasilianers, die für Leverkusener Verhältnisse erstaunlich hingebungsvoll singenden Fans waren aber hingerissen.

Der Trainer hatte indes nicht Unrecht, als er sagte, das Ergebnis sei „eigentlich zu hoch“, denn der tschechische Meister hatte durchaus gute Möglichkeiten. Nach Franças 1:0 und 2:0 (10., 67.) kombinierte Ostrava, angetrieben vom Ex-Schalker Radek Latal, ansehnlich und konnte mehrfach erst in höchster Not gebremst werden. Doch dann kam der zweite Held dieses Abends. Jacek Krzynowek wurde für Paul Freier eingewechselt, rettete nach einem Kopfball des mäßigen Marek Heinz auf der Linie, legte zwei Minuten später Juan zum 3:0 auf (74.), bevor er das 4:0 von Dimitar Berbatow vorbereitete (82.). Eindrucksvoll – besonders im Kontrast zu Paul Freier, der vorher die rechte Seite beackert hatte und schwächster Leverkusener war.

Freiers Leistung hinterlässt ein wenig Trauer in all der Freude. Sein Spiel erinnert an die Anfangszeit von França. Wie einst França, wirkt der Neuzugang aus Bochum verunsichert, bis hinauf auf die Tribünen ist spürbar, dass der Nationalspieler sich nicht wohl fühlt auf dem Platz, und einige Fans riefen gar, „Freier raus“. „Ich habe ein langes Gespräch mit ihm geführt“, erzählte Augenthaler hernach, „er setzt sich momentan zu sehr unter Druck, vielleicht will er einfach zu viel.“ Das klingt nicht so, als wisse der Trainer ein Rezept zum Abbau der Hemmungen seines Spielers. Aber vielleicht hilft ja die Droge Champions League, die Bayer am kommenden Mittwoch nur noch in der Ostrauer Apotheke abholen muss.

Allerdings war auch dieser Abend mit Flutlicht, Champions-League-Symbolik und einem trotz des klaren Ergebnisses über weite Strecken spannenden Spiel ein gutes Erlebnis für das Team. „Schön, mal wieder so ein Fest zu feiern“, sagte Nowotny, der nach zwei Kreuzbandrissen sein erstes Europapokalspiel seit zwei Jahren bestritt. Es werden wohl noch einige folgen. Augenthaler orakelte jedenfalls zufrieden: „Wir haben die Champions League zu 70 Prozent erreicht“, und nach einer rhetorischen Pause korrigierte er sich noch einmal: „oder zu 95“. Rechnet man den tief sitzenden Pessimismus des Bayern mit, kann man auch sagen, zu 99,9 Prozent.

DANIEL THEWELEIT