Schily entkommt in Italien Gerichtsvollzieher

Minister gedenkt der Opfer eines Nazi-Massenmordes. Zustellung der Klageschrift eines Ex-Zwangsarbeiters scheitert

TALLA taz ■ Als der deutsche Innenminister Otto Schily gestern in dem kleinen toskanischen Dörflein S. Anna di Stazzema an die vor 60 Jahren von der deutschen Wehrmacht ermordeten 560 Dorfbewohner erinnerte, saß Luigi Ferrini in der Bar von Talla, 150 Kilometer entfernt, und trank seinen zweiten Espresso. Der 78-Jährige wäre schuld gewesen, wenn Schily kurz vor seiner Rede ein Gerichtsvollzieher entgegengetreten wäre und ihm eine gerichtliche Ladung vom Landgericht Arezzo zugestellt hätte. Doch das Landgericht von Lucca lehnte in einer Eilentscheidung die Zustellung ab.

Luigi Ferrini und sein Anwalt Joachim Lau versuchen seit sechs Jahren, der Bundesrepublik Deutschland eine Klageschrift zuzustellen, in der der frühere Zwangsarbeiter Ferrini seine Schadensersatzansprüche geltend macht. Doch die Botschaft in Rom und das Außenministerium in Berlin verweigern seit 1998 die Annahme gerichtlicher Schriftstücke. Das Zivilgericht in Arezzo konnte darum den eröffneten Prozess gegen Deutschland nicht fortsetzen.

Nur wenige hundert Meter vom heutigen Wohnsitz des Anwalts Joachim Lau in der Toskana entfernt liegt der Hügel, auf dem am 4. August 1944 Soldaten der Wehrmacht den damals 18-jährigen Ferrini verhafteten und in ein Arbeitslager nach Deutschland brachten. In einer Fabrik für Messerschmidt-Bomber und V 2-Raketen im thüringischen Kahla überlebte er mit knapper Not.

Noch heute leidet Ferrini aber unter schweren körperlichen Folgeschäden. Erhalten hat er für das ihm geschehene Unrecht nichts. Auch im Stiftungsgesetz für ehemalige Zwangsarbeiter sind er und seine italienischen Kollegen nicht berücksichtigt.

Im Auftrag des italienischen Verbandes ehemaliger Heimkehrer und Gefangener „Anap“ führt Lau das Verfahren als Musterprozess. Von ehemals rund 600.000 Zwangsarbeitern leben noch rund 100.000. Sie galten nach dem Krieg weder als politisch, noch wegen ihrer Rasse oder ihrer Religion als vom Nationalsozialismus Verfolgte und fielen durch alle Raster der Entschädigungen. Im März dieses Jahres urteilte der oberste italienische Gerichtshof, dass die Bundesrepublik für die damaligen Verbrechen gegen die Menschlichkeit „keine staatliche Immunität in Anspruch nehmen kann“. Damit war der Weg für individuelle Klagen vor italienischen Gerichten geebnet.

Allein: Berlin weigert sich, an dem im Mai begonnenen Prozess teilzunehmen. Die Ladung für den nächsten Termin liegt seit dem 14. Juni auf dem Hauptpostamt in Rom und wird nicht abgeholt. „Als ich hörte, dass der deutsche Innenminister zu einer Veranstaltung hier in der Gegend weilt, habe ich den Gerichtsvollzier von Viareggio aufgefordert, ihm die Klage zuzustellen“, sagt Lau. Ihn ärgert, dass das Landgericht in Lucca die Zustellung stoppte. „Im internationalen Recht kennen sich viele Richter nicht gut aus“, sagt der Anwalt. „Die Zustellung wäre rechtens gewesen.“

PHILIPP MAUSSHARDT