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Archiv-Artikel

Alles so schön still jetzt

Und die Menschen gehn in Kleidern schwankend auf dem Kies spazieren: Am Wochenende ist der Sommer zu Ende gegangen. Im Prinzenband waren die Körper nicht mehr aufdringlich und das Licht war nur noch ein Nachglänzen

Alles sah so schön vergeblich aus am Freitagnachmittag im Prinzenbad und melancholisch. Kaum jemand war da und die Leute, die da waren, zeichneten sich so deutlich ab, wie sie da standen, und ihre Körper wirkten nicht mehr so aufdringlich wie noch vor ein paar Wochen, sondern irgendwie so verletzlich in ihren Badesachen. Die Sportstudiomenschen waren schon woanders und die Jungs mit ihren Arschbomben auch und man ging barfuß durch kalte Duschbecken zur Liegeterrasse hin, zog sich um, setzte sich und die Dinge wollten sich einprägen und eine Erinnerung werden.

Ein bisschen machte es traurig, von den Liegeterrassen auf die Duschen und Schwimmbecken und die Büsche und Wiesen zu schauen. Im Prinzip war der Sommer vorbei und das Licht, das so viel schöner war als im hitzebleichen Hochsommer, war ja eigentlich nur noch ein Nachglänzen und erinnerte daran, wie schön dieser Sommer doch hätte werden können. Es war das letzte Mal vielleicht und jemand sagte „Hallo“ und das Licht und die wenigen Menschen, das blaue Wasser und das Blau des Himmels und ein bisschen Grün im Hintergrund und alles so seltsam still und sonntäglich, wie die ganze letzte Woche.

Am Abend zuvor hatten wir noch darüber gesprochen; und wussten nicht so recht, ob diese Stille nur subjektives Empfinden gewesen war, weil man den Herbst im Sommer schon so spürte, weil die Fenster nun nicht mehr durchgehend geöffnet waren, weil wir grad nicht mehr kifften, oder ob diese Stille, dies Innehalten, irgendwie tatsächlich messbar gewesen wäre. Vielleicht waren ja tatsächlich aus irgendeinem Grund weniger Autos und Menschen als zuvor durch die Gegend gefahren.

Im warmen Wasser schwammen zwei ältere Walrosse aus bleichem Fleisch, man schwamm so vor sich hin und zählte die Bahnen und dachte an den Anfang vom Sommer, als es bei Jackass einen lustigen Spermathon gegeben hatte. Es war darum gegangen, am schnellsten das meiste und beste Sperma aus sich rauszupressen. In kleine Röhren wurde das getan. Dann hatten wir ein paar Bier in der Ankerklause getrunken und an unsere Geschichte gedacht, die nie geschehen war. Waren’s jetzt acht oder doch schon zehn Bahnen? Es ist doch komisch; dass man zum Beispiel immer noch die drei, vier Gedichte im Kopf hat, die man als Teenager so schön gefunden hatte: „Und die Menschen gehn in Kleidern/ schwankend auf dem Kies spazieren/ unter diesem hohen Himmel/ der von Hügeln in der Ferne/ sich zu fernen Hügeln weitet“ (Kafka).

Später würde es „24“ auf RTL 2 geben und irgendwie kann man nicht verstehen, wieso das nicht alle gucken. Vom Wasser aus gesehen sah der Nachmittag noch viel besser aus und man hätte endlos so weiter schwimmen können und alles war plötzlich so klar und alles fühlte sich gleichzeitig so endlich an, wie dies alte Lied von Kraftwerk, „Endlos, endlos“. Es gab das Subjektive und das Objektive; nur Amateure vermischen beides und es ist nicht gut, dass die Gedanken im Kopf immer nur in der Vergangenheit gedacht (!) werden und immer so in sichtbaren Wörtern und Sätzen auftauchen anstatt irgendwie anders.

Komisch, dass man immer so bibbert nach dem Schwimmen, obgleich es im Wasser so warm ist. Dann winkte jemand dem Bademeister auf seinem Turm zum Abschied und der winkte zurück.

Irgendwann in der Nacht piepste es und ich wachte auf, schaute aufs Handy und die Freunde, die bei T.Raumschmiere im Maria waren, hatten mir eine SMS in Großbuchstaben geschrieben: „WIR HABEN GOTT GESCHAUT!“ DETLEF KUHLBRODT