„Geträumt haben wir schon“

Ein Gespräch mit dem deutschen Volleyballer Marco Liefke, dessen Mannschaft nach drei Siegennun sogar überraschend die Chance hat, mit einem weiteren Erfolg ins EM-Halbfinale einzuziehen

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Liefke, drei Spiele, drei Siege – was hätten Sie vor der EM von jemandem gedacht, der Ihnen das vorhergesagt hätte?

Marco Liefke: Dass er ein Träumer ist. Wobei: Davon geträumt haben wir schon auch; andererseits musste man natürlich sehen, dass die Tschechen und auch die Spanier bei Großveranstaltungen schon Platzierungen erreicht haben, die uns noch nie gelungen sind. Unsere Hoffnung war deshalb, dass wir das Spiel gegen die Slowaken gewinnen und möglichst noch eines der beiden anderen Spiele – und das dann schon reicht, um bei der Finalrunde in Berlin dabei zu sein. So wie es jetzt ist, ist es aber viel, viel schöner.

Was bedeutet das für die beiden Spiele in Leipzig gegen Frankreich und Italien?

Gegen so gute Gegner und ohne den ganz großen Druck haben wir auch in der Vergangenheit schon sehr, sehr gut gespielt. Ich hoffe einfach darauf, dass wir noch mal so ein Hammerspiel wie gegen die Tschechen auspacken können. Dann sind wir nur schwer zu stoppen, egal wie der Gegner heißt.

Rein rechnerisch fehlt Deutschland noch ein Sieg, um sogar in der Medaillenrunde mitspielen zu dürfen. Wie sehr spukt das im Kopf umher?

Natürlich denkt man daran. Wir sind ja keine Idioten, wir können ja rechnen. Das Problem ist, wie wir damit umgehen: Ob wir das als Anreiz nehmen, um noch eine Schippe draufzulegen, oder ob wir uns davon verrückt machen lassen. Prinzipiell haben wir gegen beide Mannschaften nichts zu verlieren. Außerdem haben wir das, was wir erreichen wollten, mit den drei Siegen im Prinzip schon erreicht. Der größte Druck – und den gab es natürlich bei der EM im eigenen Land, auch wenn das niemand so offen zugeben wollte – ist vorüber, und wir haben ihm standgehalten. Warum sollten wir jetzt anfangen durchzudrehen? Okay, Frankreich und Italien sind auf dem Papier besser als wir – aber gespielt wird auf dem Feld.

In der Weltliga haben Sie und Ihre Kollegen zuletzt zweimal gegen Italien gewonnen. Was darf man daraus ableiten?

Dass wir schon auch Volleyball spielen können – und dass deswegen jetzt viel möglich für uns ist. Alle, gegen die wir hier spielen, haben wir irgendwann schon einmal geschlagen, zuletzt in der Vorbereitung sogar Olympiasieger Serbien-Montenegro. Warum also sollten wir uns hier vor irgendjemandem verstecken?

Was muss bei der EM noch passieren, damit Sie am Ende rundum zufrieden sind?

Wir haben jetzt garantiert noch vier Spiele – und ich hoffe einfach, dass wir noch das ein oder andere gewinnen. Vielleicht schaffen wir es dann tatsächlich ins Halbfinale, was unglaublich wäre. Oder wir werden vielleicht Sechster, womit vor einem Jahr ja auch niemand gerechnet hätte.

Was fehlt der deutschen Mannschaft zu einem Team wie beispielsweise Italien?

Die Italiener sind einfach in der Abwehr eine Klasse für sich. Die wehren wahrscheinlich das Doppelte ab wie wir. Es geht aber überhaupt nicht darum, deren Spielweise zu kopieren, das können wir gar nicht. Sondern wir müssen unsere Stärken zur Geltung bringen.

Auffallend ist das große Selbstbewusstsein, mit dem die deutsche Mannschaft bei dieser EM agiert.

Wir haben in der Weltliga gesehen, dass wir doch wieder das Level haben, auch gegen die Weltbesten zu bestehen. Dann fährst du zur EM im eigenen Land und gewinnst das erste Spiel und das zweite und das dritte – und das Selbstbewusstsein wächst von Sieg zu Sieg. Wenn wir jetzt kein Selbstbewusstsein haben, wann dann?

Welchen Anteil hat Mentaltrainer Dr. Klöckner, mit dem die Mannschaft im Vorfeld zusammengearbeitet hat?

Das ist immer schwer zu sagen, das kann man ja nicht messen. Aber es hat ganz offensichtlich nicht geschadet. Es ist einfach ein kleiner Baustein, so wie viele andere Kleinigkeiten auch. Wobei man sich Dr. Klöckner auf keinen Fall als so einen Psycho-Guru vorstellen darf, der uns über glühende Kohlen hat laufen lassen. So einen Schwachsinn hätten wir nicht mitgemacht. Bei ihm hat alles Hand und Fuß. Er hat ein paar Ideen reingebracht, auf die wir so nicht gekommen sind.

Zum Beispiel?

Im Volleyball sagt man zu den Spielern immer: Unterstützt euch im Spiel gegenseitig. Ihr müsst sehen, wenn einer schlecht drauf ist, und ihm dann helfen. Dr. Klöckner hat das präzisiert und gesagt: Wenn ich von jedem erwarte, dass er jeden unterstützt, dann ist das zu viel. Damit ist man überfordert. Deshalb hat er uns nahe gelegt, Pärchen zu bilden, wir nennen das Tandems. Jetzt passt immer einer auf einen auf. Das ist einfacher und effektiver.

Bei der EM kamen Sie bisher über Kurzeinsätze noch nicht hinaus. Wie schmeckt Ihnen diese Rolle?

Wir sind eine Mannschaft und so lange wir gewinnen, ist das vollkommen in Ordnung. Worüber soll ich mich beschweren?

Auffallend ist, dass ein Großteil der Mannschaft vereinsmäßig mittlerweile im Ausland pritscht, so wie es Bundestrainer Stelian Moculescu den Nationalspielern ans Herz legt. Was kann man in ausländischen Ligen lernen, was man in der Bundesliga nicht lernen kann?

Stopp, stopp! Dagegen wehre ich mich ein bisschen, das sollte man vielleicht mal klarstellen. Wenn man sieht, wer derzeit bei uns auf dem Feld steht, dann sind da zwei Leute dabei, Wolfgang Kuck und Ralph Bergmann nämlich, die im Ausland spielen. Der Rest will dort erst in der nächsten Saison hin, das ist noch Zukunftsmusik und man muss abwarten, was daraus wird. Im Moment aber sind das noch Bundesligaspieler, Kinder der Bundesliga. Und ich glaube, dass die Bundesliga keineswegs so schwach ist, wie sie manchmal gemacht wird. Man kann auch in Deutschland Volleyball spielen.