: Macht macht Mainstream
Hätten sie ihre Bücher zu „9/11“ als Romane veröffentlicht, den Autoren Bröckers, Hauß, von Bülow und Wisnewski wäre Spott erspart geblieben. Und: Ihre berechtigten Fragen hätten wohl Gehör gefunden
von RENÉE ZUCKER
Ein der Verschwörungsabsichten gänzlich unverdächtiger Bericht des Kongressuntersuchungsausschusses über den 11. September 2001 stellte kürzlich fest: Geheimdienste wie CIA und FBI sind im Vorfeld der Anschläge einige Fehleinschätzungen und schwerwiegende Irrtümer unterlaufen. Deshalb habe man die Attacken auf das World Trade Center und Pentagon nicht verhindern können.
In normalen, amerikanischen Companys würde nach solch eklatanten Fehlern die Firmenleitung entlassen. Hoffen wir jetzt mal, weil man sich dessen heutzutage auch da nicht mehr sicher sein kann. Was aber FBI und CIA angeht, wurden die Chefetagen nicht nur, nachdem sie schuldbewusst alle Fehler auf ihre Kappe genommen hatten, des Vertrauens ihres Präsidenten versichert. Nein, sie bekamen zusätzlich noch eine Etaterhöhung und das neu gegründete „Homeland Security“-Ministerium zur Seite gestellt. Wie soll man das verstehen?
Der größte Fehler von Mathias Bröckers und Andreas Hauß, Andreas von Bülow und Gerhard Wisnewski war wohl, dass sie ihre Bücher nicht in der Belletristik-Abteilung ihrer Verlage produzierten. Ein guter Lektor hätte hier und da noch ein bisschen Lifestyle und Sex untergemengt, der Erfolg wäre bei entsprechender Werbung („Hätte es nicht auch so gewesen sein können?“ „Der Roman zur bislang größten Katastrophe des 21. Jahrhunderts“) gesichert gewesen.
Die erwähnten Autoren wollten aber bei den Erwachsenen mitmischen. Bei den Erwachsenen geht es immer um Macht. Bei erwachsenen Männern geht es um noch mehr Macht. Macht macht Mainstream. Und der Mainstream war nun mal entschlossen, die amtliche amerikanische Version des 11. Septembers 2001 zu übernehmen. Der Konsens-Gott mag wissen, warum. Vielleicht, weil die automatische Vermutung, da hätten doch sicherlich FBI, CIA und NSA ihre Finger mit im Spiel gehabt, in diesem Fall zu unglaublich gewesen wäre. Fast alle von uns hatten diese Gedanken, und wir haben uns alle sofort dafür geschämt.
Manche schämen sich noch heute dafür und schieben diesen Gedanken dann anderen Menschen in den Kopf, die sie in ihren Artikeln dann „Peter K.“ oder „Fabian K.“ nennen, die „öffentlich auch nicht sagen würden, was“ sie dann „einem alten Freund“ erzählen, wie in dem FAS-Artikel eines Autors, der rein zufällig auch Peter K. heißt und eine „Reise durch den paranoiden Alltag“ unternimmt. Frei nach dem irischen Sprichwort „Wenn du einem zweiköpfigen Schwein begegnest, halt den Mund“ schweigen die meisten Zweifler, was man ja auch verstehen kann, da die Faktenlage einfach viel zu verworren ist, als dass man sich mit irgendeiner Theorie NICHT sofort in die Nesseln setzen könnte.
Dabei wäre es schlichteste Journalistenpflicht gewesen, sich auch nur mal an irgendeinen der lose herumfliegenden Fäden zu hängen und zu versuchen, ihn Zentimeter für Zentimeter aufzurollen. Seien es die vermeintlich noch lebenden Verdächtigen, die angeblich immer noch auf der CIA-Seite mit den 19 Entführern zu finden sind, oder das vermaledeite fehlende Foto eines abgestürzten Flugzeugs im Pentagon, damit wir endlich sicher sein können, dass dort auch wirklich eins abgestürzt ist und es nicht etwa eine als Flugzeug verkleidete Rakete war, wie manche behaupten. Der Spiegel hat erst jetzt, fast zwei Jahre nach den Ereignissen, sieben Leute an die Recherchen gesetzt – und auch einiges herausgefunden. Warum nicht gleich so?
In einem „Panorama“-Beitrag wurde kürzlich dagegen einfach beanstandet, die Bröckers & Co. hätten voneinander abgeschrieben. In manchen Fällen hätte sich der Leser aller drei Bücher dies allerdings gewünscht, denn dann wäre die Lektüre nicht so verwirrend anstrengend und ihre Wirkung nicht so albtraumfördernd gewesen.
Nehmen wir ein Beispiel heraus, das weder bei Spiegel noch bei „Panorama“ untersucht wurde – und bei allen drei Buchautoren wiederum unterschiedlich interpretiert wird. Unumstößlich scheint die Tatsache zu sein, dass eine Mrs Barbara Olson an Bord der American Airline 77, einer Boeing 757, war, gebucht von Washington nach Los Angeles, abgestürzt ins Pentagon. Mrs Olson war von Beruf Rechtsanwältin und CNN-Kommentatorin und verheiratet mit Ted Olson, US-Generalstaatsanwalt. So weit die Fakten.
Mrs Olson soll nach der Entführung der Maschine zweimal im Justizministerium angerufen haben. Bei von Bülow könnte dies über das bordeigene Telefon in der Lehne des Vordersitzes geschehen sein. Wisnewski schreibt dagegen, dass es laut American Airlines Website auf der Boeing 757 gar keine Bordtelefone gibt. Bei Bröckers ist Mrs Olson mit ihrem Handy in der Toilette gewesen und soll von dort aus zehnmal probiert haben, beim Justizministerium durchzukommen. Dies sei doch nachprüfbar, so Bröckers, indem man die Mobiltelefonrechnung anschaue. Dem hatte aber offenbar Mr Olson einen Riegel dadurch vorgeschoben, dass er in einem Interview mit dem Londoner Telegraph gesagt haben soll, so Bülow und Bröckers, dass sie vom Bordtelefon aus telefonisch um einen „collect call“ (einen Rückruf, der vom Rückrufenden bezahlt wird) gebeten habe, weil sie offenbar keine Brieftasche dabei hatte.
Wenn sie aber keine Kreditkarte hatte, darüber sind sich dann wieder alle Autoren einig, konnte sie gar nicht erst irgendwohin telefonieren, auch nicht mit der Bitte um einen Collect Call. Aber abgesehen davon und auch abgesehen davon, dass uns Mister Olson nicht besonders sympathisch ist, weil er jenen denkwürdigen Satz gesagt hat, in dem er sich „eine unendliche Anzahl von Situationen vorstellen kann, in denen Regierungsmitglieder legitime Gründe haben könnten, falsche Informationen zu verbreiten“ –, abgesehen davon, könnte man doch auch als Verschwörungstheoriefeind, Philosemit und unverbrüchlicher Amerikafreund nachprüfen, ob es nun Bordtelefone gab oder nicht. Ich war zum Beispiel auf der Site von AA und konnte dort lesen, dass Telefone ausdrücklich für 777 und 767, aber nicht für die 757 erwähnt werden. Wie also hat Mrs Olson wirklich telefoniert, und warum kann es nicht anständig recherchiert werden?
Stattdessen stellte „Panorama“ die Autoren in eine Reihe mit Horst Mahler. Obwohl der gar kein Buch zum 11. September geschrieben hat, sondern lediglich in einem Interview seinem Dauer-Wahn fröhnte, nach dem „nur 5 Juden“ im World Trade Center umgekommen sein sollen.
Man kann Bröckers, Hauß, Bülow und Wisnewski aus unterschiedlichen Gründen für Spinner halten. Das kann man übrigens bei genauerem Hinsehen fast mit jedem Individuum machen, das sich etwas origineller als andere äußert. So zum Beispiel auch mit Hans Leyendecker, der in einem Artikel vom 30. 8. in der Süddeutschen derart vor sich hin schäumt, dass man glaubt, die Verschwörungstheoretiker hätten ihn im Innersten seiner Seele angegriffen. „Bülows neues Buch wirft wichtige Fragen auf“, schreibt er, „aber anders als die Verschwörer-Gemeinde meint: wie nämlich konnte Bülow Staatssekretär werden? Und was hat Bülow in seiner Zeit im Amt angerichtet?“
Sollte Hans Leyendecker bei seinen vielen Nachforschungen vielleicht herausgefunden haben, dass in diesem Land nur diejenigen Staatssekretär werden können, die ganz ganz schlau und weise sind? Das würde uns freuen. Und was von Bülow in seinem Amt als Staatssekretär angerichtet hat, lässt sich ja bei näherem Hinsehen leicht herausfinden. Gerade für jemanden wie Leyendecker, der gern andere für sich mit recherchieren lässt. Aber ihm reicht es, Bülows „von“ wegzulassen (Namensfalschschreibung ist ja eine beliebte journalistische Diskriminierungsmaßnahme) und zu verschweigen, dass jener nicht nur Staatssekretär, sondern auch Bundesminister gewesen ist.
Man muss nicht alles für wahr oder klug halten, was die Konspirations-Autoren im Einzelnen vermuten, wie der Tathergang um den 11. September herum gewesen sein könnte. Aber warum müssen sie derart abgestraft werden für Fragen, die gewiss zu stellen sind? Auch wenn einem manchmal der hysterische und höhnische Ton, besonders bei Bröckers und Wisnewski, auf die Nerven gehen kann. Genauso wie die Hetze der Gegenseite.
Es scheint so, als handle es sich doch nur um das beliebte Platzhirschen-Rechthaber-Spiel. Henryk Broder wünschte Bröckers, dass er als Fettfleck an einer Hochhauswand enden solle, woraufhin der meinte, dass Broder sich viel eher als Fettfleck eigne, weil er dicker sei. Leyendecker findet es ein „digitales Ärgernis“, dass „angebliche Wahrheitssucher sich einbilden, über Tatsachen urteilen zu können“ – als wenn sich dessen vor dem 11. September niemand schuldig gemacht hätte und dies nicht tagtäglich in jeder Zeitung mit den besten Absichten getan würde.
Wer weiß mehr über die technischen Details von Stahlkonstruktionen, bei welchem Wärmegrad sie brennen oder zusammenfallen, wer weiß besser, mit welchem Aufwand welches Flugzeug in welches Loch, auf welchen Turm gesteuert werden kann …? Plötzlich sind die Kollegen, wie bei jedem medial vermittelten Krieg, Spezialisten für alles, und man fühlt sich an ein Treffen von Modelleisenbahnliebhabern erinnert, die sich über den Spieltischen gerieren, als hätten sie „selber jahrelang auf der Lokomotive gesessen“.
Wenn bei etwas weniger aufgeregten Gemütern unter den Lesern nicht der Eindruck entstehen soll, es handle sich auch bei den 11. 9.-Debatten wieder nur um Steineschmeißen in der Jungsecke von der Buddelkiste, würde man sich wünschen, dass ein paar ordentliche Arbeiter hingingen und, noch erheblich gründlicher als der Spiegel, jetzt Punkt für Punkt gelassen widerlegten, bestätigten, aufklärten. So, wie wir es gern von Journalisten hättten.