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Archiv-Artikel

Tod einer bizarren Medienikone

Sie wurde für ihre Kunst bewundert, für ihre Nähe zu Hitler verachtet. Leni Riefenstahl, Regisseurin und Fotografin, ist mit 101 Jahren gestorben

Als Zeitzeugin des Dritten Reiches berichtete sie nur, was ihrer Legendenbildung diente

von CLAUDIA LENSSEN

Am Ende ihres langen Lebens war sie immer noch die umstrittene Femme fatale des deutschen Films. Schönheit, Abenteuer, Bildermachen interessierten sie, aber als „woman you love to hate“ wurde sie berühmt. Bis zuletzt ließ sie wissen, dass sie wegen ihrer Feinde lange lebe. Am Montag ist Leni Riefenstahl mit 101 Jahren in Pöcking am Starnberger See gestorben.

Um ihren Passionen zu folgen, nutzte sie Vorteile, schätzte Geld und Macht und setzte ihr attraktives Äußeres kalkuliert ein. Rolle und Leben verschmolzen. Einer Reihe von Männern missfiel ihre Konkurrenz, sie sprachen über sie als abgewiesene Liebhaber. Sie lebte ihre Extravaganzen in wenig damenhaften Gefilden, war ein neuer Typ, der ohne Schminke, in Skihosen, Pilotenjacke und Bergmädchenkostüm den Natürlichkeitskult der „neuen Frau“ ab den späten zwanziger Jahren modellierte.

1902 in Berlin als Tochter eines Installateurmeisters geboren, beschloss sie schon als Kind, berühmt zu werden. Willensstark arbeitete sie sich zur Solo-Performerin moderner Ausdruckstänze vor, wechselte aber nach einer Verletzung in die neue Karriere als Bergsteigerin und Skifahrerin in den Filmen von Arnold Fanck. „Der heilige Berg“ (1926), „Die Weiße Hölle vom Piz Palü“ (1929) machten die Außenseiterin bekannt.

Neu war, dass Leni Riefenstahl hinter der Kamera, am Schneidetisch, in Produktion und Selbstvermarktung die Macht an sich nahm, die sie ab ihrem Regiedebüt „Das blaue Licht“ (1932) nicht wieder aus der Hand gab. Wenn man ihr Steine in den Weg legte, konnte sie weinen wie ein Mädchen; ging es um Verträge, musste sogar ein entnervter Goebbels gelegentlich den Kürzeren ziehen. „Kampf“ war eine viel gebrauchte Vokabel, nicht opportune Mitarbeiter wurden auf dem Weg vergessen.

Eine Frau wie die Riefenstahl verglich sich nicht mit anderen Frauen, sie interessierte sich nicht für sie. Leni Riefenstahl bevorzugte das Abenteuer, die einzige Frau unter Männern zu sein – in den Filmen von Franck spielte sie die verhängnisvolle Frau und die sportliche Herausforderin.

Die Riefenstahl wurde der zweite Weltstar des deutschen Films – ein klarer Gegensatz zu Marlene Dietrich in puncto Rollentyp, Intellektualität und Ironie. Disziplin feierten beide, aber die Riefenstahl ließ sich bei allem Durchhaltevermögen gern über die eigenen Mühen, Opfer und Verletzungen aus.

Zu Beginn des Dritten Reiches war sie eine begeisterte Hitler-Anhängerin und willigte ein, für die braune Bewegung zu filmen – mit dem produktionstechnischen Aufwand, der ihr den Ruf des Besonderen sicherte. Die Nähe zu Hitler und seinen Propagandastrategen, ihr vorauseilender Gehorsam, den Machthaber als überwältigende Erlösergestalt zu glorifizieren, nicht zuletzt ihre Sonderstellung innerhalb des Nazi-Kulturapparates durchdrangen und überformten Leni Riefenstahls Lebensleistung nachhaltig. Von ihren sieben Filmen entstanden sechs während des Hitler-Regimes, alle mit Anschubfinanzierung der Partei und enormer produktionstechnischer Unterstützung. Sie behielt die Rechte, profitierte von dem System verordneter Vorführungen und wurde zur Nutznießerin ihrer frühen Meriten für Hitler, obwohl dieser mit zunehmenden Kriegsvorbereitungen das Interesse an ihr verlor. Drei stilisierte Dokumentationen drehte sie von den Jubelfeiern, Siegesräuschen und Unterwerfungsritualen, die Hitler auf den Nürnberger Parteitagen für sich inszenieren ließ. „Triumph des Willens“ (1935) wurde der perfekteste davon, Inbegriff eines Propagandafilms und unwiderruflich mit ihrem Namen identifiziert. In „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“, zwischen 1936 und 1938 entstanden, dokumentierte Leni Riefenstahl nicht nur aufwändig die Olympischen Spiele in Berlin, sondern schuf eine monumentale Ikonografie athletischer Körperbilder, die die kühle Emphase der avantgardistischen Moderne mit faschistisch aufgeladener Symbolik verschmolz.

Weder interessierte sie sich für die Funktion der Spiele in Nazi-Berlin noch für die Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse vor der Weltöffentlichkeit – die Wirklichkeit der Rassenpolitik kam nicht vor. Bis heute sind die Olympia-Filme ihr größter internationaler Erfolg. Mit „Tiefland“ (1940–54) wollte sie noch einmal von der Bergidylle herunter das Melodram erobern, aber sie verstrickte sich – wie so oft – in die Gigantomanie der Produktion. Ihrem Perfektionismus kam entgegen, dass sie, wie alle Großbetriebe damals, Zwangsarbeiter beschäftigen konnte; sie holte Romafamilien als Statisten ins spanische Ambiente ihres Sets und fühlte sich für deren spätere Deportation nicht verantwortlich. Erst 62 Jahre später, am 15. August 2002, unterschrieb Riefenstahl eine Unterlassungserklärung gegenüber der Komparsin und Holocaust-Überlebenden Zäzilia Reinhardt. Der Frankfurter Rundschau hatte die Regisseurin gesagt, sie habe alle in dem Film mitwirkenden Zigeuner nach dem Krieg wiedergesehen; keinem sei etwas passiert.

Nach Hitlers Ende verwandelte Leni Riefenstahl sich in ihrer zweiten Lebenshälfte in eine bizarre Medienikone, die aus dem Abwehren, Umdeuten und Umnutzen ihrer Regiekarriere im Dritten Reich einen funktionierenden Markennamen entwickelte. Als Zeitzeugin berichtete sie nur, was ihrer Legende diente, auch wenn ihr Widersprüche nachgewiesen wurden. So behauptete sie in ihren Memoiren, sowohl von Goebbels in ihrer Arbeit behindert als auch als Frau begehrt worden zu sein. Eisern beharrte sie darauf, politisch nicht involviert gewesen zu sein. Künstlerische Autonomie und ästhetische Qualität – diese Beschwörungsformeln dienten in zahlreichen Verfahren dazu, ihre beschlagnahmten Filme zur Rekonstruktion und Auswertung zurückzuerhalten. Für jeden Meter aus „Triumph des Willens“, der durch Beschluss der Alliierten nur bedingt vorgeführt werden konnte, erstritt sie Mitspracherecht und anteiligen Erlös bis zu ihrem Tod. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich das Ritual ihrer öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland. Man warf ihr die Trennung von Form und Inhalt, von Ästhetik und Moral vor – ein verstocktes Böse-Tante-Syndrom in der alten BRD, von oben verordnete Ignoranz in der DDR. Beides tabuisierte aber eine intensive Auseinandersetzung.

Auf Riefenstahls dritte Karriere als Regisseurin setzte sie eine vierte als Fotografin sowie eine fünfte als der Welt älteste Taucherin. Fotobücher, Filmfragmente, biografische Projekte beschäftigten sie bis zuletzt. Mit von ihr gefilmten Unterwasserszenen übten Cutter die Arbeit am Anfang der 90er-Jahre neuen Avid-Schnittcomputer, im Tausch holte sie sich mit über neunzig Jahren dieses Equipment ins Haus – für solche Deals hatte sie schon immer ein Händchen.

In den 60er-Jahren fotografierte sie die Nuba im Sudan. Die Fremde erschien ihr als Ornament athletischer Körper, als Faszinosum fotografisch ästhetisierter Aggressivität.

Die Kontroversen, die ihre Fotos in den 70er-Jahren in den USA auslösten, und der Porträtfilm „Die Macht der Bilder“ (1993) von Ray Müller machten ein neues Phänomen deutlich: Leni Riefenstahls Legende hatte sich zu einem beharrlichen Image ausgewachsen. Die Aura der Hitler-Vertrauten verschmolz mit ihrer Selbstinszenierung als moderne, bis ins höchste Alter aktive Frau – ein Bild scheinbar ewiger Präsenz. Geschichte wurde von schierer Unverwüstlichkeit kaschiert. Der persönliche Triumph des Willens war die ideale Voraussetzung, zum Medienstar zu mutieren.

Zwei Generationen nach ihren Filmen provoziert deren Hitler-Hysterie nicht mehr unmittelbar. Die neue Rechte garniert ihre Lockstoffe mit aktuelleren Codierungen. Provozierend blieb Leni Riefenstahls Transformation vom Nazi-Urgestein zum schlanken Senior-Model der westlichen Global-Kultur bis zuletzt. Als sie mit 97 Jahren einen Hubschrauberunfall bei Drehvorbereitungen leicht verletzt überlebte, war das eine Nachricht wert. Die vitale Grenzgängerin und Selbstdarstellerin übertrumpfte die historische Femme fatale. Riefenstahls Bilder stehen für frivole Monumentalität, abrufbar aus dem immensen Archiv der Stile, aus dem sich Werbung und Popkultur zyklisch bedienen. Sie sind wie Geister, die man nicht mehr aus dem Haus bekommt.