: Gesucht werden: die Bürger
Kein Strukturproblem mehr sein! Gemeinwesen spielen! Perspektiven des Stadttheaters in der Heinrich Böll Stiftung
Die „Bürger der Stadt“: Sie sind zu einer gefragten Figur auf der Bühne der Auseinandersetzung zwischen Sparpolitik und Verteidigung der Theater geworden. Sie sind das neue Phantom, der steinerne Gast, der als Verkörperung von Gewissen und Geschichte beschworen wird. Ein neues Bewusstsein muss her, was das Theater wert ist, sagte Antje Vollmer, nicht zum ersten Mal, auf einer Podiumsdiskussion der Heinrich Böll Stiftung in Berlin. Sie versuchte es mit einer historischen Herleitung aus dem fürstlichen Mäzenatentum. Da wird aus dem Theater so etwas wie die vergessene Prinzessin im Aschenputtelgewand.
Die drei IntendantInnen, mit denen sie an einem Tisch saß, scharrten bei ihrem emphatischen Ausflug in die Vergangenheit leicht mit den Füßen. Aber wie man aus dem „Stadttheater“ wieder einen Begriff machen kann, der in erster Linie nicht mit Strukturproblemen, sondern mit inhaltlichen Erwartungen gekoppelt ist, interessierte Amélie Niermeyer aus Freiburg, Ulrich Khuon aus Hamburg und Stephan Märki sehr wohl. Aus Weimar konnte Märki, Intendant des Nationaltheaters, berichten, dass die Abwehr der Fusionspläne mit Erfurt und die Aushandlung neuer Verträge mit allen Gruppen im Theater ein neues Klima der Kommunikation geschaffen hat. Die Finanzkrise als Beschleuniger der Auseinandersetzung? Die Wege zur Wiederentdeckung des Theaters als Forum, auf dem ein städtisches Gemeinwesen wieder zu sich selbst findet, sind noch auf keiner Karte verzeichnet.
Gespräche auf einem Podium sind Formate mit beschränktem Charme. Vor allem dann, wenn die Eingeladenen auf einer Seite stehen. So griffen sich die drei Theaterchefs erst mal einen Vorwurf aus der Luft, der von Kulturpolitikern gerne weitergetragen wird: dass sich seit 200 Jahren an den Theaterstrukturen kaum etwas geändert hätte. Ulrich Khuon vom Thalia Theater Hamburg und Stephan Märki trugen, um das Gegenteil zu beweisen, ein Patchwork kleinteiliger Veränderungen zusammen: von Probebühnen, die Umbauten ersparen, von neu ausgehandelten Verträgen, von langfristiger Planungssicherheit, vom Verzicht auf teure Gäste. Noch atemlos erzählte Amélie Niermeyer, die in Freiburg gleich in ihrer ersten Spielzeit gigantische Etatkürzungen abwehren musste, von der allmählichen Erkenntnis, wie wenig Finanzpolitiker die Theaterstrukturen durchschauen.
Obwohl der Wunsch nach einer inhaltlichen Neubestimmtung des Stadttheaters allenthalben spürbar war, fraß sich das Gespräch in den Strukturen fest. Erst spät wagte Lothar Müller, Redakteur der Süddeutschen Zeitung und Moderator der Runde, eine Diskussion der Kriterien von Qualität vorzuschlagen. Ob das Theater sich nicht in der Verteidigung seiner Funktion mehr auf die ästhetische Reflexion seiner Eigenheiten besinnen müsste und weniger dem Crossover ergeben sollte. Die Widerrede war kurz: Die Intendanten, bis dahin so lammfromm und kooperationswillig, kehrten nun endlich die Kunst heraus und sagten „Theater darf alles“.
KATRIN BETTINA MÜLLER