: Ethnische Gewalt kein Abschiebehindernis
Rund 70 Flüchtlinge aus dem Kosovo werden in den nächsten Monaten Deutschland verlassen müssen. Flüchtlingsinitiative kritisiert mangelndes Fingerspitzengefühl der Behörden: „Das sind Härtefälle“
DORTMUND taz ■ Nur wenige Monate nach dem Aufflammen neuer gewaltsamer Unruhen im Kosovo, die 19 Tote gefordert hatten, hält das nordrhein-westfälische Innenministerium die Region für sicher genug, um weitere 70 Flüchtlinge aus Dortmund dorthin abzuschieben.
Die Behörde hat den seit vielen Jahren in Deutschland lebenden Personen mitgeteilt, dass ihr Abschiebeschutz aufgehoben worden sei. Die Mehrzahl von ihnen muss nun damit rechnen, in Kürze eine Ausreiseaufforderung zu erhalten und dann innerhalb weniger Wochen das Land zu verlassen. Pfarrer Ralf Wieschhoff vom Dortmunder Arbeitskreis für Flüchtlinge kritisiert die Haltung der Behörden: „Einige der Menschen, die jetzt abgeschoben werden sollen, leben schon seit mehr als zehn Jahren hier. Die Kinder sind hier geboren, kennen ihre Heimat nicht und sprechen auch die Sprache nicht.“
Die Familien, die oft sehr gut in ihre Dortmunder Nachbarschaften integriert seien, hätte nach ihrer Rückkehr ins Kosovo keinerlei Perspektive: „Die Menschen haben dort keine Anlaufstellen mehr, sie haben kein Dach über dem Kopf und bei einer Arbeitslosigkeit von 50 bis 80 Prozent in einigen Regionen des Kosovo auch keine berufliche Zukunft“, so Wieschhoff.
Vor allem die Abschiebung von ethnischen Minderheiten wie Kosovo-Türken, -Bosniaken oder Ashkali in das Kosovo stößt bei den Flüchtlingsvertretern auf Unverständnis. Mit dem Erlass der Innenministerkonferenz vom 22. Juli könnten Abschiebungen von Minderheiten durchgeführt werden, obwohl selbst UNMIK, die UN-Interims-Verwaltung für das Kosovo, erklärt habe, wie angespannt die ethnische Situation weiterhin sei, sagt Ralf Wieschhoff.
Der Arbeitskreis fordert deshalb, dass die Behörden von ihrer starren Haltung abrücken und die Möglichkeiten, die sie im Rahmen der Härtefallregelung haben, vollständig ausschöpfen. Wieschhoff weist darauf hin, dass andere Bundesländer wie zum Beispiel Schleswig-Holstein eine so genannte Vorgriffsregel geschaffen hätten. Die könne angewandt werden, um Flüchtlingen, denen heute die Abschiebung droht, die aber nach dem neuen Zuwanderungsrecht ab Januar in Deutschland bleiben könnten, auch jetzt schon hier bleiben dürften. „NRW hat sich ausdrücklich gegen eine solche Regelung entschieden“, so Wieschhoff.
Im Innenministerium kann man die Aufregung nicht nachvollziehen. „Bei uns gibt es schon seit zehn Jahren eine behördenunabhängige Härtefall-Kommission. Jeder Ausländer kann sich formlos daran wenden und seinen Fall vortragen“, so eine Sprecherin. Außerdem stehe man in ständigem Kontakt mit UNMIK, um zu analysieren, welche Gruppen gefahrlos zurückgeführt werden können. Eine „Rückführung“ von Serben und Roma in das Kosovo sei deshalb auch weiter ausgeschlossen. Die harte Linie des Ministeriums hatte Innenminister Fritz Behrens (SPD) schon im Juni 2002 angekündigt. Die Flüchtlinge müssten nun zurückkehren, „weil es im Kosovo keinen Bürgerkrieg mehr gibt“.
Ausgangspunkt für die Übergriffe zu Beginn des Jahres war das Gerücht, dass Serben für den Tod von drei albanischen Kindern verantwortlich seien. Sie sollen die Kinder angegriffen und in einen Fluss gejagt hätten, in dem sie ertranken. Vor allem Serben und Angehöriger der Minderheiten fielen der sich anschließenden Gewalt zum Opfer. Der NATO-Befehlshaber für Südeuropa, Admiral Gregory Johnson, sagte bezeichnete die gewaltsamen Unruhen später als „ethnische Säuberungen“. Noch im März hatte deshalb die UN-Verwaltung für das Kosovo erklärt, dass eine „Rückführung“ von Flüchtlingen in die Region wegen der angespannten Sicherheitslage derzeit nicht möglich sei. Dies hatte zeitweilig zu einem de facto Abschiebestopp geführt. ULLA JASPER