: Schule und religiöse Symbole
Französische Schulen sind Orte staatsbürgerlicher Erziehung, in denen es LehrerInnen untersagt ist, Symbole eines religiösen Bekenntnisses zu tragen. In England werden kopftuchtragende Lehrerinnen nicht als Problem betrachtet. Zwei Modelle
von ULRIKE HORMELund ALBERT SCHERR
Am 24. September entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob die Lehrerin Fereshta Ludin ein Kopftuch in der Schule tragen darf oder nicht. Getroffen wird diese Entscheidung vor dem Hintergrund einer ersichtlich unklaren und kontroversen gesellschaftspolitischen Situation. Immer noch umstritten ist nicht nur die Anerkennung der Bundesrepublik als Einwanderungsgesellschaft. Ungeklärt ist auch, welche Rolle den Religionen in einer modernen und weitgehend säkularisierten Gesellschaft zukommen soll.
Die politische Beanspruchung der christlichen Religion als Grundlage des eigenen Selbstverständnisses hat bekanntlich ebenso einflussreiche Befürworter wie ein eher distanziertes Konzept des demokratischen Rechtsstaates. Die religiöse Glaubensfreiheit sowie das Verbot religionsbezogener Bevorzugungen und Benachteiligungen sind zwar grundgesetzlich verankert und stehen nicht in Frage. Gleichzeitig aber ist die privilegierte Stellung des christlichen Religionsunterrichts weitgehend unangetastet. Zudem legen die Schulgesetze in Bayern und Baden-Württemberg die Schulen dieser Länder auf eine christliche Orientierung fest.
Eine Klärung der Frage nach der Stellung von Religionen in der Einwanderungsgesellschaft und im Kontext der schulischen Bildung wird das Bundesverfassungsgericht durch seine Entscheidung nicht ersetzen können. Hinzu kommt, dass juristisch aller Voraussicht nach nur über die Legitimität der individuellen Symbolisierung eines religiösen Bekenntnisses entschieden werden kann, nicht über das grundlegendere Problem, ob religiöse Neutralität schulischer Bildung in der Einwanderungsgesellschaft anzustreben ist.
Eine durchaus vergleichbare und auch in der Bundesrepublik öffentlich breit wahrgenommene Auseinandersetzung fand während der 90er-Jahre in Frankreich statt. Der dortige Konflikt über das Recht von Schülerinnen, das Kopftuch in der Schule bzw. während des Unterrichts zu tragen, hat aber einen anderen gesellschaftlichen Hintergrund. Denn Frankreich versteht sich als ein republikanischer und laizistischer Staat, der sich in keiner Weise auf eine religiöse Tradition beruft und keine Politik der staatlichen Förderung der Religionsausübung und der religiösen Erziehung kennt. Französische Schulen sind Orte staatsbürgerlicher Erziehung, in denen kein Religionsunterricht erteilt wird und in denen es LehrerInnen und SchülerInnen prinzipiell untersagt ist, deutlich erkennbare Symbole eines religiösen Bekenntnisses zu tragen.
Kontrovers ist in Frankreich deshalb nicht die laizistische Orientierung des Schulwesens, sondern allein die Frage, ob Individuen berechtigt sind, innerhalb einer religiös neutralen Schule ihr Bekenntnis zu symbolisieren. Eine diesbezügliche gerichtliche Entscheidung des Conseil d’État von 1989, die besagt, dass das Tragen von Kopftüchern dann erlaubt ist, wenn sie nicht „ostentativ“ gezeigt werden, hat in der Praxis zu einer uneinheitlichen Regelung geführt. Nicht das Tragen religiöser Symbole selbst ist ausschlaggebend, sondern es gilt als erforderlich, das damit einhergehende Verhalten zu beurteilen. Dies führt immer wieder zu Konflikten.
Vor diesem Hintergrund wird zurzeit in Frankreich die Forderung nach einem generellen Verbot des Tragens religiöser Symbole laut. Der Nationalversammlung liegen Gesetzesentwürfe vor, die die striktere Umsetzung des laizistischen Prinzips an öffentlichen Schulen gewährleisten sollen.
Die Forderung nach einem generellen Verbot des Tragens religiöser Symbole in Schulen impliziert im französischen Kontext durchaus eine Einschränkung individueller Freiheitsrechte. Sie kann aber nicht als Diskriminierung einer Religion oder genereller von MigrantInnen bewertet werden. Es handelt sich vielmehr um die Konsequenz einer Festlegung des schulischen Erziehungsauftrages, die darauf zielt, alle SchülerInnen zu Angehörigen der französischen Nation zu machen. Dazu soll ihnen diejenige Kultur vermittelt werden, die als Erbe der nationalen Geschichte und als Ausdruck der französischen Zivilisation gilt. Dies schließt auch ein, dass Schulen der Auftrag zugewiesen ist, den erzieherischen Einfluss von Eltern auf ihre Kinder zu begrenzen. Im vorliegenden Fall wird die Forderung nach einem generellen Verbot des Tragens religiöser Symbole auch mit der Notwendigkeit begründet, die Macht der religiösen Erziehung im Elternhaus einzuschränken.
Die von einer Gruppe französischer Intellektueller formulierte Position, an der religiösen Neutralität von Schulen konsequent festzuhalten und SchülerInnen in ihrem individuellen Emanzipationsprozess in Richtung auf ein selbstbestimmtes Verhältnis zu religiösen Zugehörigkeiten zu unterstützen, ohne aber das Tragen des Kopftuchs zu verbieten, zeigt vielleicht eine Perspektive auch für die deutsche Diskussion auf: Befähigung zu individuell verantwortbaren Entscheidungen in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Traditionen und Orientierungen. Bedingung wäre eine Abschaffung des Religionsunterrichts und seine Ersetzung durch menschenrechtliche, ethische und religionskundliche Curricula.
Eine andere Sichtweise des Problems findet sich in Ländern, in denen multikulturelle Orientierungen einflussreich sind. Den stärksten Kontrast zum republikanisch-laizistischen Modell Frankreichs stellt der programmatische Multikulturalismus kanadischer Prägung dar. Dort wird die Darstellung von ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten auch im schulischen Kontext nicht nur toleriert, sondern zudem als Mittel der Förderung von kollektiver Identität betrachtet und als sichtbares Zeichen eigener politischer Toleranz bewertet. Auch in England werden SchülerInnen als Angehörige ethnischer Gruppierungen in den Blick genommen. Programme des „ethnic monitoring“ klassifizieren SchülerInnen als „White“, „Mixed“, „Asian“ oder „Asian British“, „Black“ oder „Black British“, „Chinese“ usw. Dies geschieht in der Absicht der Überwindung von Diskriminierungen, etabliert aber ethnisierende und nationalisierende Kriterien als Grundlage schulischer Entscheidungen.
Geht man von der multikulturellen Prämisse aus, dass Individuen Angehörige ethnischer, religiöser oder kultureller Gruppierungen sind, also nicht primär selbstbestimmungsfähige Einzelne mit wählbaren und kündbaren Zugehörigkeiten, dann ist die Förderung von Minderheiten und ihrer öffentlichen Artikulation ein nahe liegendes politisches Programm. Dem entspricht eine Pädagogik der Toleranz und Akzeptanz im Verhältnis zu kultureller und religiöser Vielfalt und gegenüber entsprechenden Symbolisierungen. Folglich empfiehlt das nationale Curriculum für die öffentlichen Schulen in England einen religionskundlichen Unterricht, der die unterschiedlichen Religionen aller SchülerInnen berücksichtigt. Ein Verbot des Tragens von Zeichen kultureller und religiöser Identifikation schließt ein solches gesellschaftspolitisches Konzept aus. Das Kopftuch oder der Turban muss lediglich ästhetisch zur Schuluniform passen. Kopftuchtragende Lehrerinnen werden nicht als Problem betrachtet. Seit 2001 ist es sogar Londoner Polizistinnen muslimischen Glaubens erlaubt, verschleiert auf Streife zu gehen.
Auf den ersten Blick stellt sich diese Praxis als Ausdruck eines Gesellschaftsverständnisses dar, das liberal und tolerant auf die Normierung und Bewertung von Bekenntnissen und Symbolisierungen verzichtet. Eine solche Betrachtung übersieht jedoch die genuin politische Dimension des Problems: Kulturelle Traditionen und die Religionen sind keine bloße Folklore, es geht nicht nur um Präferenzen für Speisen, Getränke und Tänze. Gegenstand von Auseinandersetzungen sind auch die Fragen nach den gleichen Rechten von Frauen, der sexuellen Selbstbestimmung, den familialen Autoritätsverhältnissen, dem gesellschaftlichen Einfluss und der politischen Bedeutung von Religionen. Auch der Kopftuchstreit hat insofern eine politische Dimension: Er berührt auch innermuslimische Auseinandersetzungen darüber, ob das Tragen des Kopftuchs ein legitimer Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses ist oder aber als Symbol für eine konservative politische Orientierung und das Festhalten an einer traditionalistischen Geschlechterordnung gesehen werden muss.
Auf eine kritische Auseinandersetzung mit antiemanzipatorischen Tendenzen, die sich in ganz unterschiedlichen, auch in christlichen Kontexten finden, ist also auch unter multikulturellen Vorzeichen nicht zu verzichten. Entscheidend ist in der Einwanderungsgesellschaft, dass eine menschenrechtliche und demokratische Schulentwicklung vorangetrieben wird, die allen Individuen gleiche Chancen und gleiche Rechte zugesteht.
Anzustreben ist im Kontext einer Pädagogik und Politik der Antidiskriminierung eine religiös neutrale Schule, in der gleichwohl jede/r das Recht beanspruchen kann, seine Identifikationen anzuzeigen, und in der Auseinandersetzung über unterschiedliche religiöse und kulturelle Orientierungen möglich sind.
Geschrieben ist der vorliegende Text auf der Grundlage von Analysen, die durch das Projekt „Bildung für die Einwanderungsgesellschaft“ der Bertelsmann-Stiftung ermöglicht wurden. Realisiert wird das Projekt an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Weiterführende Informationen zur französischen und britischen Diskussion finden sich im Internet etwa unter www.lmsi.net/ und www.qca.org.uk/ca/inclusion/respect_for_all/policy.asp