: Ein eitler Schreibtischtäter
In einer Hamburger Seitenstraße findet sich bis heute eine Firma zur Vermittlung von Versicherungen. Ihr Namensgeber, Otto Wolff, war einst ranghoher Funktionär des NS-Regimes, wirkte mit an der „Entjudung“ der Wirtschaft – und genoss als ehemaliger Spieler des FC St. Pauli dort lange einen guten Ruf
VON RENÉ MARTENS
Die Straße, in der die Dr. Otto Wolff Vermittlungsgesellschaft für Versicherungen heute sitzt, heißt ausgerechnet Himmelstraße, und man kann davon ausgehen, dass dem Firmengründer diese Pointe der Geschichte gefallen würde.
Am 1991 verstorbenen Wolff selbst war nichts himmlisch: Der Namenspatron der Versicherungsagentur in einer stadtparknahen Seitenstraße im Stadtteil Winterhude war einer der ranghöchsten Schreibtischtäter der Hamburger NSDAP. Er spielte eine zentrale Rolle bei der „Entjudung der Wirtschaft“ und später auch bei der Organisation der Zwangsarbeit. Nach Ansicht der Anwälte, die Wolff in einem Prozess vor dem Spruchgericht Bergedorf vertraten, in dem er wegen seiner SS-Mitgliedschaft – Rang: Standartenführer – zu einer Geldstrafe von 5.000 Mark verurteilt wurde, hatte er „Ministerbefugnisse“. Der FDP-Politiker Hans-Harder Biermann-Ratjen (1901–1969), dreizehneinhalb Jahre lang hamburgischer Kultursenator, bezeichnete Wolff als „schlimmsten und brutalsten Schergen des absoluten Antisemitismus in der Wirtschaft“.
Anfang 1959 war dem Spiegel die Firma, die damals noch Dr. Otto Wolff Versicherungen hieß und 1955 ins Handelsregister eingetragen worden war, fünf Zeilen in der Rubrik „Berufliches“ wert. Anlass der Meldung war die Teilhaberschaft eines gewissen Karl Kaufmann. Es war ein teuflisches Duo, das da fortan Versicherungen vermitteln wollte: Kaufmann nämlich, der 1922 in die NSDAP eingetreten war – Mitgliedsnummer: 95 –, war in Hamburg Gauleiter und Reichsstatthalter gewesen. Und Freund Wolff – Parteieintritt 1930, Mitgliedsnummer 421 311 – einer seiner wichtigsten Mitarbeiter.
Bräunlicher Firmenname
Wie konnte es passieren, dass der bräunliche Firmenname überleben konnte – hier, in dieser beschaulichen Straße? Das Unternehmen gehört seit 1976 zur Götte-Gruppe, die ihren Hauptsitz in Köln hat und in Hamburg nur eine Zweigstelle betreibt. Zum Zeitpunkt der Übernahme seien ihr nur „die für die den Kauf der Firma relevanten Daten seit ihrer Gründung im Jahre 1955“ bekannt gewesen, aber nicht Wolffs Vergangenheit, sagt Marcus Götte, der heutige Chef der Hamburger Niederlassung. Dass die Götte-Gruppe lange nicht Bescheid wusste über die quasi nach der Nazi-Zeit beginnende Nazi-Vergangenheit einer ihrer Firmen, wirkt glaubhaft. Viele Details über Wolffs Wirken in der NS-Zeit sind erst seit 1997 bekannt – seit der Veröffentlichung von Frank Bajohrs Buch „‚Arisierung‘ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945“.
Erst einige Monate nach der Transaktion bekamen Göttes Leute eine vage Vorstellung davon, wer die langjährigen Protagonisten des übernommenen Unternehmens gewesen waren. „Ein Versicherungsunternehmen, das mit den Vorbesitzern zusammengearbeitet hatte und nun unser Partner war, brachte zu einem Gespräch Zeitungsausschnitte aus den 40er und 50er Jahren mit, in denen es um Karl Kaufmann ging“, sagt Horst Röstel, der frühere Hamburger Niederlassungsleiter, der heute als Pensionär ein wenig elbabwärts in Wedel lebt. Von Wolff sei darin nicht die Rede gewesen, und der Ex-Gauleiter sei in den Texten in einem positiven Licht erschienen – das Ergebnis der von Kaufmann forcierten Legende, dass ausgerechnet er, der in Hamburg-Fuhlsbüttel ein KZ errichtet und die Deportation der Hamburger Juden vorangetrieben hatte, in den letzten Wochen des Krieges zum Widerstandskämpfer geworden sei.
Hat die Firma Götte nach der Lektüre dieser Zeitungsartikel versucht, mehr herauszufinden? Nein, sagt Horst Röstel. Zumindest im Groben ist die Götte-Gruppe seit Januar 2008 über Otto Wolffs Vergangenheit informiert – die Folge von Recherchen für einen Buchbeitrag. Es sei jetzt „höchste Zeit“, dass die Inhaber mit einer Umbenennung „die einzig richtige Konsequenz ziehen“, sagt Cornelia Kerth, die Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BDA) in Hamburg. Auch Friederike Littmann, die sich als Autorin des Buchs „Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939-1945“ intensiv mit Wolffs Verbrechen beschäftigt hat, hält dies „auf jeden Fall“ für erforderlich. Geschäftsführer Marcus Götte sagt, die Umfirmierung sei geplant – allerdings mittelfristig, denn der Vorgang sei aus verschiedenen rechtlichen Gründen zeitaufwändig.
Bestialischer Akademiker
Der bestialische Akademiker Wolff begann seine Karriere 1936, als er Hauptsachbearbeiter des Gauwirtschaftsberaters wurde. Ab 1940 füllte er letzteren Posten selbst aus. Die Machtfülle des Multifunktionärs ist kaum zu überschauen: Wolff war von 1942 bis 1944 Mitglied der Ratsherrenversammlung, einer Art städtischem Pseudo-Parlament; von 1942 bis 1945 gehörte er dem Vorstand der Reederei Hapag an, saß ab 1943 der Rüstungskommission des Wehrkreises X (Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein) vor, übte außerdem Beirats- und Aufsichtsratstätigkeiten etwa bei Unilever aus. Nach der Befreiung Hamburgs kam er in Internierungshaft, aus der er im April 1948 entlassen wurde.
In der Nachkriegszeit gehörten Wolff und Kaufmann zu jener Gruppe von einstigen Mitgliedern der NS-Elite, die in Politik und Verwaltung keine Chance hatten, sich als Geschäftsleute aber teilweise einen erheblichen Wohlstand erarbeiten beziehungsweise den vorhandenen Wohlstand ausbauen konnten. Im Bericht eines Bürgerschaftsausschusses, der 1946 zwecks Untersuchung nationalsozialistischer Korruptionsfälle gebildet wurde, ist die Existenz eines 13-köpfigen „Bonzen-Clubs“ erwähnt, in dem man sich gegenseitig die lukrativen Posten der Stadt zuschusterte. Wolff war eine der maßgeblichen Figuren in diesem nepotistischen Zirkel: Er beschaffte seinen hochrangigen Kameraden Luxuslebensmittel aus den besetzten Gebieten oder wertvolle Gegenstände aus „arisierten“ Geschäften. Er selbst erwarb 1939 und 1942 zwei „arisierte“ Häuser – in Harvestehude und in der Elbchaussee.
Ungewöhnlich ist letztlich nicht Wolffs wirtschaftliche Betätigung in der Nachkriegszeit, sondern die Tatsache, dass er die Firma nach sich benannte. Es gebe, sagt Frank Bajohr, keinen vergleichbar hochrangigen NS-Funktionsträger und SS-Mann, der es riskierte, seiner Firma seinen eigenen, verfänglichen Namen aufzudrücken. Der Historiker vermutet, hier sei Eitelkeit Ausschlag gebend gewesen.
Nebenbei Fußballer
Die frühe Geschichte der Dr. Otto Wolff Vermittlungsgesellschaft für Versicherungen wäre längst vergessen, wenn der einstige Firmeninhaber nicht nebenbei noch als Fußballer aktiv gewesen wäre: Wolff spielte von 1925 bis 1935 und aushilfsweise noch einmal in der Saison 1939/40 in der ersten Mannschaft des FC St. Pauli. Als Bajohr 1997 über den ehemaligen Vereinsboss Wilhelm Koch forschte, nach dem zeitweilig das Stadion des Vereins benannt war, entdeckte er, dass Wolff in einem Jubiläumsbuch von 1960 als Träger einer „Goldenen Ehrennadel“ verzeichnet ist.
Der Klub hat anlässlich seines 2010 bevorstehenden hundertjährigen Jubiläums mittlerweile eine wissenschaftliche Arbeit zur Rolle des Vereins im Nationalsozialismus in Auftrag gegeben. Es wird dort auch um Wolff gehen und um seinen guten Ruf, den er offensichtlich in der Nachkriegszeit im Verein genoss. Und dies, Ironie am Rande, auch noch zu einem Zeitpunkt, als sich die Fanszene des Vereins mit zahlreichen für Fußballanhänger ungewöhnlichen Aktionen schon ein antifaschistisches Image erarbeitet hatte. Der Wolff-Nachruf, der noch Anfang 1992 in der Vereinszeitung erschien, ist für St. Pauli jedenfalls nicht schmeichelhaft: „Während des Krieges hat unser Senior in exponierter Stellung für unser Land, für unsere braun/weißen Farben segensreich gewirkt.“