: Wasserpistolen und Trockenspanner
„Unsere Sendung ist einfach weniger abgefuckt als andere Talkshows“: Die Radio Bremen-Talkshow „3nach9“ wird dreißig und ist damit die älteste Plauderrunde im deutschen Fernsehen. Auch nach drei Jahrzehnten gibt es keine einfache Erfolgsformel
Aus Bremen Werner Tewes
Die Talkshow „3nach9“ feiert im November ihr 30-jähriges Jubiläum. Damit ist die vom kleinsten ARD-Sender Radio Bremen produzierte TV-Show die älteste noch immer ausgestrahlte Plauderrunde im deutschen Fernsehen. Der runde Geburtstag gibt Anlass zum feiern – und das nicht zu knapp. Mit der 369. Folge beginnt am 5. November das Fest. Am nächsten Tag wird eine große Gala ausgestrahlt, die am 16. Oktober im Bremer Congress-Centrum vorproduziert werden soll. Dabeisein werden Künstler wie Joy Denalane und Barbara Clear, die – auch – mit Hilfe der Sendung ihren großen Durchbruch schafften.
Im November 1974 hatte Dieter Ertel, damaliger Programmdirektor von Radio Bremen, ein vermeintlich einfaches Show-Konzept ausgetüftelt: Man lässt ein paar Moderatoren mit einigen Gästen auf Sendung gehen und schaut, was so im Laufe des Abends passiert. „Uns wurde damals gesagt: Wenn’s gut läuft, bleibt ihr ein Jahr auf Sendung. Wenn es schlecht läuft, sechs Monate“, kann sich Show-Pianist Gottfried Böttger noch genau an die Anfangstage erinnern. Das Echo auf die ersten Folgen war groß – und sauertöpfisch: Respektlos seien die Moderatoren gegenüber den Gästen, hieß es in der Zuschauerpost, die Sendung sei „lediglich geistige Onanie von Redakteuren“ und „eine Kette von Dummheiten, Albernheiten und Unverschämtheiten“.
Die durchschnittliche Glotz-Quote von 18 Prozent im Sende- sowie 8 Prozent im Bundesgebiet widersprechen freilich solcher vernichtenden Kritik. Doch was genau ist das Geheimnis des Erfolgs? Die Gäste, eine illustre Schar prominenter und semiprominenter Leute? Oder etwa die Themen wie Atomkraft, Ärztepfusch und Sexspielzeug – es gibt nichts, was in drei Jahrzehnten nicht bekakelt wurde. Oder doch die Moderatoren? „Anders als in anderen Shows sind unsere Moderatoren nicht hauptberuflich in dem Job tätig“, so Wolf Neubauer, „ungefähr drei Jahrhunderte lang“ verantwortlicher Redakteur der Sendung. Die Moderatoren, das sind derzeit Giovanni di Lorenzo, soeben zum Chefredakteur der Zeit aufgestiegen, und die ihren schwäbischen Heimatakzent sorgsam unterdrückende Schriftstellerin Amelie Fried.
Am Ende aber sind es wahrscheinlich doch die kleinen Skandälchen, ohne die im Medienzeitalter gar nichts mehr geht. Unvergessen ist beispielsweise das Attentat des Ex-Kommune 1-Bewohners Fritz Teufel auf den damaligen Bundesfinanzminister Hans Matthöfer im Februar 1982. Mit einer Wasserpistole bewaffnet schoss der 68er-Revoluzzer auf den verdatterten Sozialdemokraten. Und wer hätte bitte ohne „3nach9“ gewusst, dass man Präservative mehrfach nutzen kann? Dank Beate Uhses Besuch 1978 ist klar: Der Trockenspanner ist das richtige Gerät für den triebfreudigen Mann mit der kleinen Geldbörse. Einfach das benutzte Kondom aufhängen, ein paar Stunden trocknen lassen – und alles ist bereit für die zweite Runde.
„Ich glaube unser Erfolgsgeheimnis ist unser Profil“, so der Leiter des Programmbreichs Unterhaltung bei Radio Bremen Rolf Tiesler. „Wir sind etwas seriöser als die anderen Talkshows, bringen eher Info- als Entertainment, und unsere Gäste kommen gerne zu uns, nicht nur um ihre neuen Bücher zu vermarkten“. Zwar geschieht das durchaus auch. Doch als Inge und Walter Jens in der Sendung vom 2. Januar 2004 ihr Buch „Frau Thomas Mann“ vorstellten, wurde die Schwarte nicht penetrant in die Kamera gehalten, eher nebenbei erwähnt. Im Vordergrund standen die Parallelen zwischen den Ehepaaren Jens und Mann. Die Zuschauer durften erfahren, dass Walter Jens nicht mal Autofahren kann, er eigentlich „außer Lesen und Schreiben gar nichts beherrscht“. „3nach9“, besonders mit di Lorenzo und Fried, lässt es halt gerne menscheln.
Natürlich heimste die Sendung auch Preise ein „Beide Auszeichnungen haben wir gerne angenommen“, so Neubauer. Den Grimme-Preis in der Kategorie „Spezial“ erhielt „3nach9“ für die erst vierte Sendung 1975. Das Moderatoren-Team Marianne Koch, Wolfgang Menge und Gert von Paczensky hatte den Kabarettisten Jürgen von Manger, die Moderatorin Carmen Thomas, den Zahnmediziner Albert Keil, den Medizinkritiker Kurt Büchel und den Politiker Egon Bahr zu Gast. Die Grimme-Jury belohnte die „herausragende Qualität“ der Sendung, in deren Mittelpunkt das Thema „Ärzte-Pfusch“ stand. Neun Jahre später, 1984, gab es dann die „Saure Gurke“ für die frauenfeindlichste Sendung im deutschen Fernsehen. Ein Puffbesitzer aus Hannover, dem eine eifersüchtige Freundin sein „bestes Stück“ abgeschnitten hatte, kriegte sich mit Feministinnen beim Thema „Sex-Tourismus“ in die Wolle. Die Diskussion eskalierte, und Gläser-Inhalte flogen in die Gesichter der keifenden Streithähne.
Mittlerweile geht es ruhiger zu im Studio in Bremen-Osterholz: „In letzter Zeit ist wenig Skandalöses“ passiert, so Neubauer. Aber schöne Erinnerungen gebe es, wie zum Beispiel eine komödiantische Einlage von Peter Ustinov und Cecilia Bartoli in der Sendung vom 31. Oktober vergangenen Jahres: Die Klassik-Sängerin und das mittlerweile verstorbene Multitalent bekamen damals für ihre spontane Darstellung einer Autofahrt durch Rom – Ustinov mimte einen Fiat Cinquecento, Bartoli sang als Fahrerin „Ticke, ticke, tock“ – herzhaften Applaus.
Unsere Sendung ist einfach etwas weniger abgefuckt als die anderen Talkshows“, sagt Redakteur Neubauer. Außerdem seien die Kosten für die Talkshow besonders niedrig. Überwiegend arbeite man mit freien Mitarbeitern. Für die Zukunft geplante Outdoor-Shows sollen die Kosten noch weiter senken, denn „dann sparen wir uns ein eigenes Studio“. „Wenn uns unsere Zuschauer treu bleiben, stehen weiteren 30 Jahren ‚3nach9‘ nichts mehr im Weg – falls es den Sender noch so lange gibt“ , so Neubauer mit dem typisch bremischen Überlebenswillen.
Die „3nach9“-Gala wird am Samstag, 16. Oktober, um 20 Uhr 30 im Bremer Congress-Centrum aufgezeichnet. Karten unter ☎ 0421 / 36 36 36