■ „Bleibt nachzutragen, dass Merkur der Gott der Kaufleute und der Diebe war“
: Alles ist hier typisch konservativ

betr.: „Kapitalisten zur Sonne, zur Freiheit“ von Jan Feddersen (Das aktuelle Sonderheft der Zeitschrift „Merkur“ widmet sich der Frage: „Kapitalismus oder Barbarei?“ Den westlichen Globalisierungskritikern wird entgegengehalten, dass nur kapitalistische Verhältnisse der Dritten Welt helfen können – so ungemütlich sie auch sind), taz vom 13. 9. 03

Jan Feddersen scheint mir das Argument zu verwenden, dass die Ablehnung der Globalisierung in Europa durch eine vermeintliche moralische Mehrheit nicht aus Einsicht oder Erfahrung gespeist ist, sondern aus Mangel an Einsicht und Erfahrung, kurz Bequemlichkeit. Der Merkur übernimmt nur die ehrenvolle, weil unbequeme Aufgabe, als Avantgarde uns vorzudenken, warum Globalisierung begrüßt werden muss. Drei Punkte:

1. Der Merkur bezieht nicht nur in der Diskussion über Globalisierung Standpunkte der Minderheit, weil dies Autoren und Lesern das Gefühl erlaubt, sich als Elite zu fühlen. Herausgeber Karl-Heinz Bohr hat wiederholt den Niedergang der Wertschätzung des Bürgertums beklagt. Mir scheint, als sei jetzt die Klage über den Niedergang der Wertschätzung des Kapitalismus an der Reihe.

2. Keine Ahnung, ob in Europa wirklich eine Mehrheit Globalisierung ablehnt, aber Globalisierung gut zu finden, ist ein no-brainer. Auf der Seite der Globalisierung zu stehen, ist, aus einer globalen Perspektive betrachtet, der Standpunkt der Mehrheit der Menschheit und der Standpunkt, den die überwältigende Mehrheit der Medien in allen Ländern vertritt.

3. Feddersen meint, dass nicht in Frage steht, dass „keine andere Ökonomie [als Kapitalismus] die Alltage von Menschen zu versorgen imstande ist.“ Ach ja? Was ist mit den vielen zeitgenössischen anthropologischen Studien, die Ökonomien beschreiben, die anders funktionieren, sei es bei Seenomaden in Mikronesien oder in Chinatown in New York?

Feddersen fährt fort, „Selbst unter Globalisierungskritikern hat die nordkoreanische Ökonomie nicht viel moralischen Kredit.“ Dies Argument lautete, als es die DDR gab, „Dann geh doch nach drüben“ und war schon damals reserviert für die Zeit nach dem zehnten Bier. Da sag ich: Ich bin auch für Schampus für alle!

MATTHIAS GERBERDING, Berkeley, Kalifornien/USA

Jan Feddersen findet Geschmack an der Zeitschrift Merkur, weil sie mit bemühtester Kraft zu Felde zieht gegen ein verbreitetes Unbehagen am Kapitalismus, das nur „Bequemlichkeiten des Denkens“ entspringen kann.

Wer die Stirn etwa runzelt, weil Säuglinge in der Dritten Welt an Nestlé-Fertignahrung erkranken und sterben, ist wohl zu verbohrt, um zu begreifen, dass nur das kapitalistische „Regelwerk verlässlich herausfinden kann, was der Kunde will und was nicht“. Und wer ist schuld, dass Amazonasindianer und Schwarzafrikaner noch nicht Zeitschriftenredakteure, wenn nicht sogar fröhlich schaffende Lohnarbeiter geworden sind? Die mächtige Clique der Globalisierungskritiker muss es sein, die ungerechtfertigte Besitzstände wie Tarifverträge für die Proleten der Ersten Welt betoniert.

Dabei liegt es doch auf der Hand, dass der globale Kapitalismus, „wo Märkte sich öffneten, wo verlässliche (rechtsstaatliche) Verhältnisse in einer liberalen Gesellschaft herrschen“, bisherige Habenichtse den hiesigen gleichgestellt hat: Alle haben Arbeit und Brot nach ihrem Geschmack. Und die wenigen, die nicht klarkommen mit der Arbeit, werden großzügig unterstützt; auch sie sollen nicht leben wie ein Hund.

Bleibt nachzutragen, dass Merkur der Gott der Kaufleute und Diebe war. KLAUS PRIESUCHA, Oldenburg

Macht sich die taz jetzt auch noch stark für konservative Ideen? Die Rezension vom Merkur „Kapitalismus oder Barbarei?“ von Jan Feddersen, mutet erschreckend seltsam an. Nicht, dass ich gegen eine Verteidigung des Kapitalismus oder der freien Marktwirtschaft wäre, mich erschreckt die Geistlosigkeit, mit welcher der Merkur hier verfährt.

Sicher, es soll ja kein Ersatz für bodenständige Wirtschaftstheorien sein, wo ich beispielsweise als Lektüre Stiglitz „Volkswirtschaftslehre“ vorziehe. Jan Feddersen setzt den geistigen Tiefgang auch noch fort. „Denn Kapitalismus stiftet Freiheit, ja begründet Wohlstand“, wird Marx uminterpretiert (wo steht so ein Unfug?). „Globalisierung der Marktwirtschaft … sei eine demokratische Kraft“, obwohl gerade im gegenwärtigen Vaterland der globalen Marktwirtschaft, den USA, die Demokratie permanent schwindet. „Mehr Individualität“, „mehr Freiheit“, „mehr Hamburger“ (sorry, falsch gelesen). Aber die Kenntnis, was für ein Handy oder Waschmittel der Kunde will, zeigt doch „dass die Marktwirtschaft die einzige Form der gesellschaftlichen Kommunikation verkörpert“ (das steht nun tatsächlich da!).

Um es kurz zumachen: Alles ist hier typisch konservativ. Der Konservative findet das Bestehende immer besser als eine Veränderung. Wenn die halbe Welt verhungert, so ist es für ihn zumindest gut, dass der Rest genug zu essen hat, und die Freiheit der konservativen Vorstellungen ist besser als gar keine Freiheit.

Trotz aller Benachteilung der Frauen im Kapitalismus gibt es doch „die immens gewachsenen Freiheitschancen von Frauen unter kapitalistischen Verhältnissen“. Alles ist besser, als irgendeine Art Veränderung, womit Frau sich nun endlich mal abfinden sollte, statt zu protestieren.

Ob „der Kapitalismus mehr gutes Leben gestiftet hat als jede andere Ökonomie“, nun ja, die Römer mussten gar nicht arbeiten, wogegen selbst die Berufsaktionäre ständigen Stress mit den Börsenkursen haben. Auch bin ich mir nach Studium des Merkurs nicht ganz sicher, ob die geistige Freiheit des Kapitalismus nicht eher zu Verblödung, anstatt zu geistig interessanten Analysen führt. ARMIN KAMMRAD, Augsburg

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