: Das Ende verzögern
Literaturfestival II: Urlaubsgeschichten im Gefängnis. Tilman Rammstedt las in der Justizvollzugsanstalt Tegel
„Na ja, zu kaufen gibt’s bei uns auf jeden Fall nichts“, beantwortet die Dame an der Pforte der Frauen-Justizvollzugsanstalt Lichtenberg freundlich-resolut die Frage, ob auch die losen Münzen in der Hosentasche in das Schließfach müssen. Als der Metalldetektor dann doch wegen einer verirrten 5-Euro-Note piepst, muss der Schein tatsächlich draußen bleiben.
Eine Hand voll Medienvertreter dürfen dabei sein, doch eigentlich ist die Lesung des Jungautors Tilman Rammstedt in diesem – mit etwa 100 Insassinnen – größten Frauenknast Berlins im wahrsten Sinne eine geschlossene Veranstaltung. Es gibt es ein großes Interesse seitens der Autoren, hier zu lesen, erzählt Martin Jankowski, Mitorganisator des veranstaltenden Internationalen Literaturfestivals. Deshalb stehen bei der Auswahl der Autoren die Wünsche der Zuhörerschaft im Vordergrund – und da hatten die Frauen klare Vorstellungen: Ein junger Mann sollte es sein und nicht allzu hochliterarisch.
In einer kurzen Einführung erklärt Jankowski den Zuhörerinnen, mit wem sie es zu tun haben: „Vor zwei Jahren hat Tilman Rammstedt den Berliner Open Mike Wettbewerb gewonnen. Open Mike ist eine Veranstaltung, bei der verschiedenen Autoren …“ Und so weiter. Eigentlich eine sympathische Sache. Ein bisschen Hintergrundinformation wäre ja bei so mancher Veranstaltung ganz nützlich. Die hohle Akustik des Raums macht den Start etwas schwierig, die erste von Rammstedts episodenhaften Geschichten – es geht um eine heimliche, unbehagliche Affäre während eines Urlaubs zu dritt – kommt aber dennoch gut an.
Tilman Rammstedt ist trotzdem nervös. Allzu häufig kommt die Außenwelt hier nicht zu Besuch, man beäugt sich neugierig. Das wird in der anschließenden Fragestunde, etwa 25 Frauen sind gekommen, gleich thematisiert: „Sie machen einen sehr angespannten Eindruck. Liegt das an uns?“. Rammstedt bejaht und verneint. „Das ist schon eine besondere Situation hier, aber es ist immer schwierig, die eigenen Texte vor Publikum vorzutragen.“ Dafür erntet er reichlich Verständnis.
Anerkennung ist überhaupt ein großes Thema hier: Wie das Feedback auf seinen Debütroman „Erledigungen vor der Feier“ gewesen sei und wie es sich anfühle, wenn jemand etwas Schlechtes über das Buch sagt. Und: „Das ist doch sicher ein gutes Gefühl, wenn man ein Buch geschrieben hat, oder?“
Zum Schluss, als jede weitere Frage das Ende der Veranstaltung ein weiteres bisschen hinauszögert, merkt eine Insassin trocken an: „So wenig ich im Gefängnis sein möchte – in ihrem Urlaub wäre ich auch nicht gern gewesen.“
STEPHANIE GRIMM