: Ein Biotop für Pampigkeit
Die Welt ist eine Kugel (Teil 3): Im Friedrichshainer Gasthaus Puppenspieler besticht „The Addams Family“ durch leichte Extrabälle. Nur hapert es an seinem Umfeld
Der Steppenbär ist tot, Vergangenheit, Geschichte. Junge Männer sägen und hämmern emsig in den einstigen Räumlichkeiten in der Weserstraße in Berlin-Friedrichshain. Bald wird hier T.Raumschmiere seinen Malzkaffee schlürfen, jeden dritten Sonntag eine schwule Lesebühne kein Blatt vor den Mund nehmen und das internationale Multimedia-Tanz-Projekt über neue Förderanträge beratschlagen. Natürlich ist das Spekulation, und der Ort für eine Lesebühne denkbar ungeeignet. Wie auch immer: Nichts erinnert hier mehr an den begehbaren Ferrari-Schrein, an legierte Nächte und die gelassene Eintracht einer funktionierenden Scheinehe.
Der Wirt hieß Dieter, und Dieter war der Steppenbär. Ein fremdes, wildes und auch scheues Wesen aus einer anderen Welt als der Meinigen. Mal herzte er mich wie einen Sohn und spendierte einen Schnaps nach dem anderen, dann wieder beschiss er uns bei der Abrechnung. Wer nichts wird, wird … Bestimmt ein Dutzend Mal bekam Dieter täglich diesen Spruch zu hören oder brachte ihn in den eigenen Zwie- und Selbstgesprächen unter.
Der Grund, warum Dieter und ich uns kennen lernten, hatte einen Namen: Medieval Madness. Medieval Madness ist ein bezaubernder Williams-Flipper mit Mittelalterthematik und einer echten, mein Playmobil-Herz stets höher schlagen lassenden Spielzeugburg unter der Scheibe. Die Dart-Pfeile schwirrten einem um die Ohren, aus den Boxen quälten die drei ewig gleichen Schlagerzusammenstellungen, auf jedem Quadratdezimeter versteckten sich Schumi oder das schwarze Pferd … egal, wir waren glücklich! Doch vorbei. Fortan ist der Steppenbär Legende.
Wer nun in der Nähe der Simon-Dach-Straße flippern möchte, kann entweder das sagenhafte Scared-Stiff-Wunder (taz vom 12. August 2004) in der Bretterbude bestaunen, sich zu den beiden Flippern in die Astro-Bar quetschen oder die Indiana-Jones-Leiche im Harlekin besichtigen – ein Opfer der letzten Biermeile, wir wünschen gute Besserung! Oder aber er verirrt sich in das RESTAURANTE BISTRO GASTHAUS CAFE Puppenspieler. Vier Biere vom Fass stehen hier zur Auswahl, doch nur zwei Sorten lassen sich für je 2,69 bestellen. Die Musik ist unbedeutend, stammt werktags aus dem Radio, samstags zur Bowle-Party gibt es Dub von DJ Fennek.
Der Puppenspieler hat zwei großzügige Räume, Billard, Kicker, Photoplay, einen Bodenbelag wie mein erstes Arbeitszimmer und den urigen Flair einer Bacardi-Rigo-Leuchte. Der Puppenspieler ist ein ideales Biotop für pampige Kellnerinnen, kleinkarierte Chefs und streitbare Stinos. Stinknormal wirkt in solch einer Gegend selbst Ballys vierarmiger Flipper „The Addams Family“ aus dem Jahre 1992. Mit 22.000 produzierten Geräten war er der meistgespielte und beliebteste Flipper seiner Zeit.
Der Apparat vor Ort ist in sehr gutem Zustand – ja, wie von selbst jagen die Kugeln die Rampen hoch. Ein Extraball ist leicht zu erreichen, ein Multiball selten, ein Freispiel schwer. Und trotzdem, irgendetwas fehlt … den Flipper trifft allerdings keine Schuld. Es muss mit der Atmosphäre zusammenhängen!
Auch im Kreuzberger Yorckschlösschen vegetiert ein „The Addams Family“-Flipper vor sich hin und wird von einem vollbärtigen Wächter beschützt, der sein mitgebrachtes Mineralwasser trinkt und alle ausliegenden Tageszeitungen mit einer Lupe studiert – es ist ein Graus! Was tun?
Ich trete vor die Tür und entdecke die Lokalität gegenüber, den Feuermelder. Eine Superkneipe mit netten Insassen und dem brandneusten Stern-Flipper: Doch davon demnächst mehr. MARC DEGENS
Flipper: „The Addams Family“ von Bally. Standorte: Puppenspieler, Grüneberger/Ecke Gärtnerstraße, Berlin-Friedrichshain; Yorckschlösschen, Yorckstr. 15, Berlin-Kreuzberg