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Archiv-Artikel

Kein Gold für Fremd-Urin

„Im Sport gibt es keine Wunder“: Diskus-Scheinsieger Robert Fazekas hat bei der Dopingprobe einen anderen pullern lassen. Die Szene wundert sich schon lange über die Leistungsexplosion des Ungarn

AUS ATHEN FRANK KETTERER

Lars Riedel nahm es mit Humor und lachte schallend. „Da ist wohl ein bisschen was verdunstet. Das hätte der Kollege wohl besser berechnen müssen“, frohlockte der deutsche Diskuswurf-Hüne am Tag danach, und man konnte sehen, welch großes Vergnügen ihm die Fehlkalkulation bereitete. Bei dem Kollegen mit der Rechenschwäche handelte es sich um den Ungarn Robert Fazekas, bei dem verdunsteten Stoff um Urin. Allerdings nicht um Fazekas’ eigenen, sondern um fremden, weshalb die Olympischen Spiele nun den nächsten Dopingfall an der Backe haben. Aber der Reihe nach: Am Montagabend warf der Ungar den Diskus auf 70,93 m, was ihm den Olympiasieg einbrachte. Danach schritt er mutig zur Dopingkontrolle. Beim Füllen des Becherchens aber war nach 25 Milliliter Schluss, und so sehr Fazekas auch schüttelte und rüttelte – es kam nicht mehr, schon gar nicht die abverlangten 75 ml.

Nun kann das durchaus vorkommen nach einem Wettkampf. Der Athlet trinkt dann ein, zwei Bierchen – und schon geht es. Bei Fazekas hätten auch drei Hektoliter Bier nichts genutzt, das wusste der Ungar. Denn schon der erste Strahl war nicht sein eigener, sondern hervorgezaubert aus einem Katheder, gefüllt mit Urin eines anderen. Einen zweiten wollte der Ungar nicht abgeben. Das wiederum erfüllt den Tatbestand der Verweigerung, weshalb Fazekas sein Gold wieder los ist und vom Olymp verbannt. Ob der Protest, den Fazekas gegen diese Entscheidung eingelegt hat, daran etwas ändern wird, soll nun der Internationale Sportgerichtshof entscheiden.

Mag sein, dass dieser neueste Dopingfall besonders dreist erscheint, in Wahrheit aber stammt das Arbeiten mit kathederähnlichen Gebilden, in denen Fremdurin mitgeführt wird, aus der Mottenkiste des Dopens. Schon vor fünf Jahren hat Willy Voet, der damalige Masseur des Profiradteams Festina, in seinem Enthüllungsbuch „Massacre à la Chaine“ genau diese Betrugsform genauestens beschrieben – und sogar mit detailgenauen Zeichnungen versehen. Und dass jetzt ausgerechnet der Ungar Fazekas damit erwischt wurde, löst zumindest bei Insidern das ganz große Erstaunen auch nicht aus. Lars Riedel jedenfalls hatte schon vor längerer Zeit davon Wind bekommen, dass Fazekas Doping-Proben manipuliere. Bericht erstattet hatte er darüber auch dem nationalen Verband – und der wiederum der Internationalen Leichtathletik-Föderation. Ob die veranlasst hat, dass bei Fazekas nun ganz genau hingeschaut wurde, ist nicht bekannt und eigentlich auch egal. Hauptsache, sie haben den Ungarn endlich überhaupt erwischt.

Darüber hinaus dient der Fall durchaus als Beweis, dass es nicht selten Vor- und Anzeichen gibt dafür, dass einer mit unredlichen Mitteln arbeitet. Nicht nur, dass Riedel den entsprechenden Tipp von einem nationalen Konkurrenten Fazekas’ bekommen hatte, auch so gab es da durchaus ein paar Auffälligkeiten. Punkt 1: Mit gerade mal 1,93 m ist der Ungar für einen Diskuswerfer von Weltklasse eher klein, Körpergröße bedeutet, schon wegen der Abwurfhöhe, aber immer auch Weite. „Bei der Größe kann man eigentlich gar nicht so weit werfen“, befindet Zweimetermann Riedel. Punkt 2: Vor vier Jahren warf der Ungar schlappe 63 m, jetzt schleudert er die Scheibe fast 10 Meter weiter. Riedel sagt dazu: „Im Sport gibt es keine Wunder. Da muss man sich alles hart erarbeiten.“ Manchmal muss man nur eins und eins zusammenzählen. Riedel und Karlheinz Steinmetz, sein Trainer, haben das getan. „Wir kämpfen doch mit Müsli gegen Atombomben“, hatte Steinmetz noch am Abend des Wettkampfes gesagt. Einen Tag später ist die Atombombe schon hochgegangen.