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Archiv-Artikel

Großer Bahnhof für leisen Film

Der neue Film „Ein Leben in Kladde“ des Filmemachers Karl-Heinz Heilig hatte am Wochenende im Oldenburger Staatstheater Premiere. Ingenieur Marius Eriksen erzählt darin von seinem Leben, und tut dies so klug, dass einem der Film nicht lang wird

Wenn im Abspann eines deutschen Films schließlich das „Gefördert von“ erscheint, dann liest kaum noch einer mit, man weiß ja um die üblichen Förderungssäckel wie „Nordmedia“, „FFF Bayern“ oder das „Kuratorium Junger Deutscher Film“. Bei den Filmen von Karl-Heinz Heilig ist dieser Schlussteil dagegen wichtig, denn hier sind die Namen und Wohnorte von Privatpersonen zu lesen. Minutenlang rollt die Liste mit Hunderten von Sympathisanten herunter, die einen vergleichsweise bescheidenen Betrag an Heilig geschickt haben, damit der seinen nächsten Film machen kann. Seit zwölf Jahren finanziert Heilig so unter dem Motto „Der leise Film – Ideen, die zusammen mit Ihnen Wirklichkeit werden“ seine inzwischen fünf Dokumentationen, in deren insgesamt 456 Minuten nichts Böses oder Hässliches gezeigt wird.

So kann man darüber spekulieren, in welchem Maße Heiligs Charakter durch seinen Namen geprägt wurde. Der freundliche Mann will mit seinen Filmen eine heile, friedvolle Welt zeigen und Menschen portraitieren, deren Lebenswerke er für exemplarisch hält. So etwa den Naturkünstler Walter Bartlomé, die Kräutergärtnerin Helga Köhne oder einen Architekten, Bildhauer und Holzbaukünstler, deren Portraits er in den „drei LebensBauGeschichten“ seines Films „Geträumtes Leben – Gelebter Traum“ zeichnet. Ohne kritische Distanz huldigt er seinen Protagonisten, und so kreiert er filmische Hymnen an das positive Denken und ganzheitliche Leben, von denen eine in „Psychologie Heute“ als Therapie für „mutlose Pessimisten“ empfohlen wird.

Mit einem Eintrittspreis von stolzen 35 Euro war wohl auch die Premierenfeier seines neusten Werkes als Förderungsmaßnahme kalkuliert. Aber am Samstag Abend war das Oldenburger Staatstheater bis auf den letzten Platz gefüllt, und es kamen Fans aus „Augsburg, München, Berlin und Hamburg“, wie der sichtlich stolze Heilig auf der Bühne verkündete. Nach einigen Grußadressen gab der Oldenburger Kammerchor ein etwa halbstündiges Konzert, das sich als Aperitif für die Filmmusik entpuppte, aber dazu später mehr. Nach einem Imbiss wurde dann auf einer kleinen aber adäquaten Leinwand im Theater „Ein Leben in Kladde“ gezeigt, jener Film, an dem Heilig in den letzten sieben Jahren gearbeitet hatte. Der Oldenburger Ingenieur Marius Eriksen erzählt darin von seinem Leben, und dies tut er so bescheiden, humorvoll und klug, dass einem der Film nicht lang wird – solange Heilig ihn reden lässt. Über den Großteil seiner fast zwei Stunden inszeniert Heilig behutsam und mit einer Langsamkeit, die fast schon originell wirkt, weil sie so unzeitgemäß ist. Für solch einen „Slow-Film“ gibt es wohl ein großes Bedürfnis.

Eriksens Lebensgeschichte mit der Kindheit in Armut, dem schwierigen Aufstieg des Hochbegabten und der existentiellen Krise nach dem frühen wirtschaftlichen Erfolg in den 60er Jahren wird von Heilig mit einem feinen Gespür für die Kernsätze, von denen der rhetorisch brillante Eriksen eine ganze Reihe zu bieten hat, in Szene gesetzt. Wenn dieser sagt, sein Leben wäre immer ungeplant, wie „in Kladde“ geschrieben gewesen, und lange habe er die Illusion gehabt, er würde später „in Reinschrift“ alles viel besser machen, dann spricht er gelassen eine universelle Weisheit aus, die um so bewegender wirkt, weil er dabei ganz konkret bei seiner eigenen Geschichte bleibt.

Dieser Ausspruch wäre ein perfekter Schlusspunkt für den Film gewesen, doch leider wollte Heilig seinen Helden in transzendente Höhen heben. So lässt er den 74-Jährigen für die letzten 20 Minuten des Films diffus von seiner Erweckung durch einen Guru in Indien, seinem Erfolg als Unternehmer und über die Stiftung, die er dann gründete, reden. Hier wirken plötzlich auch die Bilder beliebig, Eriksens Lebensgefährtin taucht nur dekorativ, da nie richtig eingeführt, an seiner Seite auf, und die beiden wirken wie ein Paar von mildtätigen Wohltätern – ein banales Klischee, das der so kluge und gewitzte Eriksen nicht verdient hat. Zuletzt wird er dann auch noch zum vergeistigten Übermenschen erhoben, wenn im Soundtrack der Kammerchor zu seinem Antlitz die Verse von Rainer Maria Rilke „Ich lebe mein Leben in wachsenen Ringen, ich kreise um Gott, um den uralten Turm“ anstimmt. Dieser Pathos entspricht so gar nicht dem Charakter des bescheidenen und bodenständigen Mannes. Da ist dem Herrn Heilig sein Sendungsbewusstsein gehörig außer Kontrolle geraten. Rilke hat in Eriksens Kladde nichts verloren. WILLI HIPPEN