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Archiv-Artikel

Schwungvoller Mieftourismus

Führerbunker-Ausstellung in saarländischer Betroffenenvertretung völlig überfüllt

Wochenlang hatte er Betontrümmer vermessen und gezeichnet

Kaum jemand kennt ihn noch aus eigener Anschauung. Viele kommen extra aus London oder New York und sind enttäuscht, wenn sie ihn vergeblich suchen. Wieland Giebel, der Betreiber der Buchhandlung „Berlin Story“, kann davon ein Lied singen, denn er muss sich täglich Fragen anhören. Schamlos die Amerikaner: „Hey man: where’s the Führers House?“ – verschämt die Deutschen: „Äh … sehen Sie … ich bin ja kein Neonazi … geschweige denn ein Altnazi … oder sonst so ein Nazi … aber wo ist denn eigentlich dieser Führerbunker?“ Schwer zu erklären. Eine Hinweistafel, wie sonst bei fernen und nahen Nazizielen in Deutschland üblich, fehlt.

Auch die Anwohner der Berliner Gertrud-Kolmar-Straße sind gestresst, weil ständig kamerabewaffnete Japanergruppen durchmarschieren – in der Annahme, sie fänden gleich die Besucherkasse. Finden lässt sich allerdings nur der überirdische Ort des einstigen Hitler-Bunkers, der Anwohnerparkplatz hinter dem Plattenbau Wilhelmstraße 92, zur Straße „In den Ministergärten“ hin.

Endlich also sollte aufgeräumt werden mit dem „Mythos Führerbunker“. Sven Felix Kellerhoff, Historiker und derzeit leitender Welt-Redakteur, hat extra deshalb ein Buch geschrieben, Wieland Giebel hat es verlegt und die saarländische Landes- sich kurzerhand in eine Betroffenenvertretung verwandelt: in die Vertretung der von äußerst zahlreichen Nazitouristen aus aller Welt genervten Betroffenen.

In historisch getreuer Anspielung auf den Vorbunker Hitlers hatte man die Vorhalle der karamellbraunen Landesvertretung zum Standort einer Ausstellung gemacht. Hier durfte der Grafiker Erhard Schreier seine 1988 angefertigten Bunkerbilder ausstellen. Wochenlang hatte er Betontrümmer vermessen und gezeichnet, während die DDR-Führung bemüht war, etwaige unterirdische Gänge restlos zu zerstören. Hitlers noch erhaltene zweiteilige Bunkerschachtel in fünf bis acht Metern Tiefe wurde im Zuge dieser Bestrebungen ausgebuddelt und gesprengt.

Einige der Fundstücke, die Schreier unter Risiko für Leib und Leben der Versenkung entriss, waren in einer Vitrine ausgestellt: Die Flasche aus dem Weindepot von Josef Goebbels etwa (Etikett unleserlich), der helle Bunkerstein, der dunkle Bunkerstein, das undefinierbare Metallstück. Bei sich rasch einstellender Stonk-Atmosphäre begann im Hauptbunkersaal der Landesvertretung die weitere Bunkershow, vom Verleger Giebel mit viel Verve und Mut zur Kürze moderiert.

Das Referat des Autors Kellerhoff zur Bunkergeschichte gipfelte in der Enthüllung des einstigen Orts der Führerverbrennung: „Da, wo jetzt die Schranke zum Mieterparkplatz ist“. Ein willkommenes Stichwort für den letzten noch lebenden Zeitzeugen, Hitlers leibhaftigen, inzwischen arg schwerhörigen Telefonisten Rochus Misch, noch einmal, wie schon so oft, die schauerlichen Momente zu schildern, in denen er mit Kollegen vor dem Wohn- und Arbeitszimmer Hitlers den finalen Rettungsschuss des Chefs abwartete, um selbigen dann zu besserem Abtransport in einen Teppich einzuwickeln.

Misch verließ den Bunker als Allerletzter, nachdem „der Russe“ telefonisch angefragt hatte, ob der Führer zu sprechen sei. Dann pfiff das Hörgerät des Zeitzeugen zum grabeskalten Büfett.

Die Bunkerfreunde bunkerten reichlich saarländische Spezialitäten. Die Initiatoren des tief schürfenden Abends zeigten sich zutiefst beglückt: Kein verirrter Nazitourist wird künftig in den Vorgärten der Staatssekretärin Beck mehr Maulaffen feilhalten. Zuwiderhandlungen werden mit dem Zwang zum Erwerb jener schwarz-weiß-roten Bunkerbroschüre bestraft. Der Führer kostet 12 Euro. TOM WOLF