: Der Churchill von der Saar
Will Oskar Lafontaine das Projekt einer linken Volkspartei im Alleingang verwirklichen? Wenn er zur PDS überliefe, könnte er sowohl sich selbst als auch die Ostgenossen retten
Wenn ein Spitzenpolitiker von den eigenen Parteifreunden bescheinigt bekommt, seine Ideen seien nur durch Alkoholeinfluss erklärbar, ist etwas nicht in Ordnung. So geschah es jüngst, als Oskar Lafontaine vorschlug, dass sich PDS und SPD im Osten zusammenschließen und eine eine Art linker CSU bilden sollten. Nun ist Lafontaine schon für manchen Paukenschlag gut gewesen. Gerade daher wäre es leichtfertig, diesen Versuchsballon als Schnapsidee abzutun.
Zwar scheint ein Zusammenschluss von PDS und SPD im Osten zu diesem Zeitpunkt unmöglich – doch das heißt nicht, dass hinter Lafontaines scheinbarem Wahnsinn keine Methode steckt. Im Gegenteil, er birgt einen Sprengstoff, der im Kanzleramt Panik auslösen müsste. Denn eines ist sicher, Lafontaines Worte richten sich vor allem an die PDS. Sie sind der Auftakt zu einem Flirt, der am Ende sogar in einem Parteiwechsel des Saarländers gipfeln könnte.
Wenn Lafontaine das Projekt einer linken Volkspartei im Alleingang verwirklichte, also einfach zu den Ostgenossen überliefe, könnte er sowohl sich selbst als auch die PDS vor dem fast schon unausweichlichen Niedergang bewahren. Beide Seiten, der Napoleon von der Saar und die SED-Nachfolgerin, bekämen dann das, was ihnen am meisten fehlt. Lafontaine jedenfalls scheint sich gerade eine neue Option zu eröffnen – noch nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ausgangslage ist, dass Lafontaine zwar Anklang bei den Gewerkschaften findet und sich auch als Wahlkampflokomotive, vielleicht als Spitzenkandidat der Saar-SPD ins Spiel bringt. Doch dort gibt es mittlerweile neue Mehrheiten, und außerdem wird Gerhard Schröder seinen saarländischen Parteifreunden deutlich mitteilen, was er von einer Wiederauferstehung Lafontaines hält. Noch – die Betonung liegt auf diesem Wort – gilt ein Kanzlerwort etwas in der SPD, noch hält die Mehrheit der Sozialdemokraten zähneknirschend am verordneten Mittekurs fest. Selbst wenn es Lafontaine gegen alle Widerstände gelänge, Spitzenkandidat im Saarland zu werden, müsste er dann immer noch den CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller besiegen. Kein geringes Risiko, denn vermutlich würde die Niederlage in einer Landtagswahl das endgültige Aus für ihn bedeuten.
Mit einer Renaissance Lafontaines innerhalb der SPD ist daher in Bälde nicht zu rechnen. Das bloße Abwarten bringt ihm allerdings auch nichts, denn vor der nächsten Bundestagswahl werden die Karten in der Bundes-SPD ohnehin nicht neu gemischt. Wenn sie denn überhaupt neu gemischt werden. Dann aber wird Lafontaine bereits dreiundsechzig Jahre alt sein und kaum noch als Zukunftshoffnung durchgehen – selbst wenn die Lage für ihn noch so günstig wäre. Er hat also nicht mehr viel Zeit, und in der SPD sind seine Aussichten bestenfalls zweifelhaft.
Der PDS wiederum kann Lafontaine vieles von dem bieten, was sie am nötigsten braucht. Bundesweit verfehlte sie die Fünfprozenthürde, intern zerfleischt sie sich in regelmäßigen Flügelkämpfen, und ihre Personaldecke ist so dünn, dass sie Gregor Gysi und Norbert Bisky periodisch recyceln muss. Im Westen kommt die Partei nicht an, auch wenn sie dort längst nicht mehr nur als Traditionsverein ehemaliger IMs gilt. Im Osten bröckelt ihr Fundament, teils aus demografischen Gründen, teils weil der Spagat zwischen ostdeutscher Protestpartei und Regierungsbeteiligung seinen Tribut fordert.
Mit Lafontaine an prominenter Stelle könnte die schon seit langem gepflegte, aber erfolglose Strategie der PDS endlich aufgehen, sich als linke Volkspartei bundesweit zu etablieren. Entscheidend wäre dabei aber nicht der Osten, den Lafontaine am Wochenende ins Zentrum rückte, sondern der Westen. Denn im Osten ist die PDS ja schon eine wenn auch schrumpfende linke Volkspartei. Jetzt aber ergäbe sich für sie die Chance, das westdeutsche Parteiengefüge zu erschüttern, ein Parteiengefüge, das die Wiedervereinigung unbeschadet überstanden hat und nun langsam der PDS die Luft im Osten abdreht.
Das Aushängeschild Lafontaine könnte all diejenigen anziehen, die dem Verlust linker Traditionen und Positionen bei SPD und Grünen nachtrauern. Die sozialpolitischen Zumutungen der Agenda 2010 und die Art, wie sie durchgepeitscht wurde, werden noch lange nachwirken. Angesichts weiterhin steigender Arbeitslosenzahlen könnten zudem schon bald die nächsten Kürzungen ins Haus stehen und die notdürftig verbundenen Wunden von Gewerkschaftern und linken Sozialdemokraten neu aufbrechen lassen. Dies wäre ein wachsendes Stimmenpotenzial, das die PDS leicht wieder über die Fünfprozenthürde heben könnte. Dann käme eine linke Regierungsmehrheit nur noch mit der PDS zustande.
Auch im Osten wäre Lafontaine von Nutzen. Schon sein bloßer Übertritt bedeutete eine solche Sensation, dass sie für längere Zeit von der inneren Zerrüttung der PDS ablenken und den Pragmatikern Aufwind gegenüber den Betonköpfen geben würde. Lafontaines einstige Distanz zur Wiedervereinigung ließe sich mit einigen Retuschen als erfolgreiches Prophetentum verkaufen, und darüber hinaus würde er der PDS neues Selbstvertrauen verleihen. Einen Ex-SPD-Vorsitzenden, Bundesminister und Ministerpräsidenten kapert man nicht alle Tage.
Insofern ist Lafontaines Vorschlag mehr als ein verfrühter Karnevalsscherz. Er skizziert eine Strategie, die die Parteienlandschaft nachhaltig verändern, allerdings im Jahre 2006 auch einem Bundeskanzler Koch den Weg ebnen könnte. Das rot-grüne Bündnis, auf dessen Fortsetzung sich Schröder und Fischer jüngst voreilig geeinigt haben, wäre akut bedroht. Seine hauchdünne Mehrheit wäre perdu, wenn Lafontaine und Gysi nelkenbewehrt und Arm in Arm durch die Talkshows zögen und in fulminanten, linkspopulistischen Parolen die Neugründung des Sozialstaats forderten.
So spektakulär ein Wechsel Lafontaines zur PDS auch klingt: In der Geschichte der Bundesrepublik hat es schon diverse Parteiübertritte hochrangiger Politiker gegeben. Der Ex-FDP-Vorsitzende Erich Mende etwa ging 1970 zur CDU und blieb noch zehn Jahre im Bundestag. Günter Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier (beide FDP) traten 1982 zur SPD über. Gustav Heinemann begann seine bundespolitische Karriere als Adenauers Innenminister und beendete sie ein Vierteljahrhundert später als SPD- Bundespräsident. Außerhalb Deutschlands gibt es noch beeindruckendere Beispiele. Winston Churchill etwa wechselte gleich zweimal: 1904 als junger Abgeordneter von den Konservativen zu den Liberalen und nach 20 Jahren wieder zurück. Zum Dank machten ihn die Tories gleich zum Finanzminister. Das war Lafontaine ja auch schon einmal.
ANDREW JAMES JOHNSTON