: Lieber eine Boutique als Aldi
Finanzplatz-Serie, 3. Teil: Die genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken setzen auf den kleinen Kunden. Sie bilden die größte alternative Firmengruppe des Landes
HAMBURG taz ■ Die Genossen haben einiges zu bieten, beispielsweise die einzige Bank mit einer Briefwaage von 1920, aber ohne Computer. Der geschäftsführende Vorstand und alleinige Angestellte der Raiffeisenkasse Gammesfeld, Fritz Vogt: „Das mache ich alles handschriftlich.“
Der Traditionalist gehört mit seiner Kasse zu den Volks- und Raiffeisenbanken, die mit 15 Millionen Genossenschaftsmitgliedern die größte alternative Firmengruppe im Lande bilden. Dazu zählte bis zu ihrer Pleite die Ökobank, die heute in der GLS-Gemeinschaftsbank weiterlebt. Aber die Zeiten sind auch für die anderen Genossen schwierig.
Die Genossenschaftsbanken wollen ihren Verbund straffen und fusionieren. Darauf läuft ein Beschluss hinaus, der vor zwei Jahren vom Bundesverband BVR gefasst wurde. Mit einer „Bündelung der Kräfte“ will der Präsident Christopher Pleister die zumeist arg kleinen Institute fit machen. Seither schrumpft die Zahl der BVR-Banken von 2.100 auf unter 1.500 – und als Ziel geistert die Zahl 800 herum.
Noch sind zwei von drei Bankfilialen Genossenschaften. Damit diese kostengünstiger arbeiten, soll die Verwaltung bundesweit zentralisiert werden. Rechenzentren und der Handel mit Wertpapieren werden bereits aus einer Hand geliefert, Letzteres in Zusammenarbeit mit den Sparkassen. Die Bearbeitung von Krediten samt Kontoführung will Pleister auch zentralisieren. Zur „Bündelung der Kräfte“ gehört der Kauf der unter Verbraucherschützern umstrittenen Kreditfabrik Norisbank. Der Rationalisierungsspielraum in der Gruppe ist groß, denn 20 Prozent der Kosten gehen angeblich allein für Informationstechnologie drauf, in der Industrie sind es gerade mal 2 Prozent.
Die Genossenschaftsbanken haben ihre Wurzeln in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals bedrohte der aufblühende Kapitalismus die Existenz vieler Bauern und Handwerker. Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen setzten auf eigene Kreditinstitute „gegenüber der Bankbewegung des Großhandels und der Fabrikindustrie“. Seit der Gründerzeit finanzieren die Genossenschaften die Lebensbasis von Millionen „kleiner“ Leute, bewilligen Kredite für die kommende Aussaat, für Haus und Hof oder für den Tante-Emma-Laden an der Ecke. Für normale Banken kamen Handwerker nicht als Kunden in Betracht. Erst 100 Jahre später entdeckten die großen privaten Banken den „Mittelstand“ als Kundschaft – und deren Erspartes als billigen Rohstoff.
Auch einige Genossen-Bankiers ändern sich. Die Gewerkschaft warnt bereits vor Übertreibungen: Die Genossen sollten „Boutique statt Aldi“ bleiben, fordert Mark Roach von Ver.di, manche seien schon auf dem Weg zum Shareholder-Value. „Wenn die Kunden vor Ort vernachlässigt werden, stoßen andere Banken in die Lücke.“
Bislang ist die Rentabilität der Geno-Banken höher als bei der Konkurrenz. Der Grund: Oft kennen selbst die Vorstände ihre Kunden noch persönlich. Nähe und gute Beratung erlauben es den Genossen, höhere Preise zu verlangen. Für radikale Kostendämpfungsprogramme besteht daher kein Anlass. Trotzdem ist der Anteil der vernichteten Arbeitsplätze laut Ver.di ebenso hoch wie bei Großbanken.
HERMANNUS PFEIFFER
Im vierten Teil der Serie geht es um Versicherungen im Umsatzrausch