piwik no script img

Archiv-Artikel

Schon vergessen?

Der Abriss des Kessler-Blocks scheint die Menschen in Tenever kaum noch zu beschäftigen. Dabei staubt und rumort es unter ihren Augen

Von wet

Eine riesengroße Wüste aus Bergen von Schutt steht da, wo vor wenigen Wochen noch der Block 407 über die Bremer Trabantenstadt Osterholz-Tenever ragte – der Kessler Block. Damit mögliche Schaulustige der Baustelle nicht zu nahe kommen, umringen Metall-Zäune das Gelände.

Ein Fremder hat es hier schwer: Wo der Kessler-Block ist, können einige Leute gar nicht mehr sagen. Gerät der abgerissene Wohnblock schon jetzt in Vergessenheit? Eine junge indische Mutter kennt den Kessler-Block genauso wenig wie ein älterer Mann mit Regenschirm. Licht in die Sache bringt ein südländisch aussehender Junge: „Der Kessler-Block? Der ist kaputt – da vorne!“ Tatsächlich: Bis auf einige Grundmauern, die von Baggern mit einem Bohrhammer an der Spitze klein gehackt werden, gibt es nur noch Berge alter Heizungen, Isomaterial, Kabel, Fliesen, Badewannen, Scherben. Durch eine Zufahrt transportieren Cuxhavener Laster den Müll weg. Mehr sehen kann man durch die Zufahrt jedoch auch nicht. Eine Fußgängerbrücke, die über die Hauptstraße führt, eignet sich da schon besser als Aussichtsplattform. Doch oben angekommen erweist sich der Blick als ebenso nüchtern wie unten: Alles ist platt. Ein paar Bauarbeiter, sonst ist das Gelände leer. Eine gelbe Litfass-Säule mit Plakaten von Veranstaltungen im Februar, „Pikant Imbiss“ existiert wohl nicht mehr und Ärzte geben ihre neuen Adressen an. Einzig und allein eine Kinderholzburg trotzt den Abrissarbeiten – noch: Neben dem Aufstieg liegt bereits ein Turm.

Block 407 ist allerdings erst der Anfang: Die Abrissbirne soll auch den Block 410, auf der gegenüberliegenden Seite der Hauptstraße, sowie drei zweigeschossige Häuser plattmachen. Teilweise verschwinden auch die Blöcke 413-415. Große Schilder informieren über dieses „Pilotprojekt: Stadtumbau West“. Der Umbau verschlingt 72.065.000 Euro, die Anzahl der Wohnungen wird von 2.649 auf 1.885 reduziert. Nach wie vor leben immerhin 12.000 Menschen in der Hochhaussiedlung. Ein gutes Viertel von ihnen ist unter 15 Jahre alt.

Bislang gilt Osterholz-Tenever als sozialer Brennpunkt. Doch das soll der Vergangenheit angehören. Denn in Zukunft soll die „neue Skyline vom Quartier-Tenever“ für Lebens- und Wohnkomfort stehen. Die Osterholz-Tenever Grundstückgesellschaft (OTG) möchte mit Rasenflächen, moderner Telekommunikation, neuen Fassaden, Fenstern und Aufzügen ein besseres Lebensgefühl schaffen. Videoüberwachte Häuser und Gänge sollen für Sicherheit sorgen. Der Hammer: „Ein Concierge in einer neu geschaffenen Eingangshalle kennt alle Bewohner, ist für sie da und weiß, wie lange die Läden offen sind oder wann der letzte Bus fährt“, verspricht die OTG. Und: Durch die Verlängerung der Straßenbahn-Linie 1 nach Mahndorf solle auch die Fahrzeit in die City „deutlich gesenkt werden.“

Die Baustelle zeigt noch ein anderes Bild. Für die Ewigkeit bestimmte Graffitis von „Binz“ versinken unter dem Bohrhammer. Ensprechend hält sich die Aufbruchstimmung in Tenever in Grenzen: Mit Aldi- und Woolworth-Taschen gehen die Menschen regungslos am Kessler-Block vorbei. Einer 10-köpfigen Gruppe junger Männer – anscheinend aus Osteuropa – ist der Umbau „scheißegal“. Ein großer Blonder mit weißem Fila-Pullover: „Wir wollen eh weg von hier.“ Wohin weiß er nicht. Von der Fragerei belästigt widmen er und seine Clique sich wieder der Musik, die mit dunklem Bass-Getöse aus einem vibrierenden Opel Vectra tönt: HipHop natürlich. Aber nicht „Mein Block“ von Sido. Es ist Eminem. „The way I am“ heißt der Song. wet