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Archiv-Artikel

Vier Firmen schrauben an der Jugend

Es gibt sie noch: Unternehmen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen und Ausbildungsplätze schaffen. Werden sie von Samaritern oder von cleveren Geschäftsleuten geleitet? Vor allem sind es Firmen, die an die Zukunft denken – an die der Jugendlichen und auch an ihre eigene

VON MIRJAM DOLDERER

Heute beginnt das neue Ausbildungsjahr – allerdings längst nicht für alle, die eine Lehrstelle gesucht haben. Allein in Berlin fehlen fast 11.000 Plätze. Schuld daran sind auf jeden Fall die anderen: Die Betriebe werfen wahlweise der Politik mangelnde Unterstützung vor oder den Jugendlichen, dass sie nicht einmal mehr „Guten Tag“ sagen könnten. Doch manche Betriebe werden gar nichts dazu sagen. Nicht weil sie diese Missstände nicht kennen. Doch sie werden am Mittwoch mit den neuen Azubis zu tun haben. Vier dieser Firmen, die von Gewerkschaften, IHK oder Handwerkskammer für ihre vorbildliche Ausbildung gelobt werden, stellt die die taz heute vor.

Die BVG

Das Berliner Verkehrsunternehmen bekommt nicht viel Lob. Schon gar nicht von den Gewerkschaften – außer was die Nachwuchsförderung betrifft. „Bei der BVG gibt es eine große Vielfalt an Ausbildungsgängen und sehr gut ausgestattete Werkstätten“, betont Andreas Splanemann, Sprecher des Ver.di-Landesbezirks. „Außerdem arbeitet der Betriebsrat dort sehr gründlich. Alle Gesetze und Bestimmungen zur Ausbildung werden bei der BVG eingehalten.“

Auch bei den Jugendlichen hat das Unternehmen einen hohen Stellenwert. „Auf Ausbildungsmessen fragen mich immer viele, wie man Kontrolleur wird. Man glaubt es kaum, aber dieser Beruf scheint sehr beliebt zu sein“, erzählt Michael Franke. Doch angehende Kontrolettis trifft man bei dem stellvertretenden Leiter der BVG-Ausbildung nicht. Die meisten Azubis lernen in kompliziert klingenden Sparten wie Mechatronik. Acht technische und zwei kaufmännische Berufe werden angeboten.

Etwas abseits des Olympiastadions, umgeben von Gleisanlagen und Schrebergärten, steht ein brauner 70er-Jahre-Bau: das Ausbildungszentrum der BVG. Hundert Jugendliche werden hier jährlich aufgenommen. Um diese Zahl werde jedes Jahr gekämpft, sagt Franke. Dabei sind hundert neue Azubis bei 12.400 Mitarbeitern eigentlich relativ wenig. Doch die BVG bildet schon weit über Bedarf aus: Nur 13 Azubis erhalten später eine Festanstellung. „Solange der Rest sich nicht auf Berlin beschränkt, kommt er aber meist unter“, berichtet Franke. Das einwöchige Bewerbungstraining zum Abschluss der Ausbildung wird wohl auch dazu beitragen.

Die Lehre bei der BVG ist sehr verschult: Im ersten Jahr werden die Grundlagen nur im Ausbildungszentrum gelehrt – meist in freier Projektarbeit. Karsten Junk (29), angehender Kommunikationselektroniker, arbeitet gerade mit zehn Kollegen an einer drehbaren Solarzelle. „So etwas ist bisher noch sehr teuer auf dem Markt“, erklärt Junk. „Die hier wird sehr viel billiger.“ Am Ergebnis der Projektarbeit besteht also auch ein reales Interesse.

Die BVG will Selbstständigkeit fördern. Dazu lässt sie die Lehrlinge auch mal in die Rolle von Chefs einer Juniorfirma schlüpfen. Hier bearbeiten vier bis sechs Azubis selbstständig reale Aufträge.

Die meisten Jugendlichen hier haben einen Realschulabschluss. Berufsbezogenes Vorwissen spielt bei der Einstellung keine Rolle. Franke erzählt, wie ein Bewerber im Aufnahmetest versuchte, eine stumpfe Schraube in ein Holzbrett zu bohren. Er wurde trotzdem genommen. Er habe so ein nettes Wesen gehabt, sagt Franke. Und das mit der Schraube habe man ihm eben noch beigebracht.

Fahrradgalerie Schlaphoff

Ludwig Schröder wird zum Kaufmann im Einzelhandel ausgebildet. Sein Arbeitsplatz in Spandau riecht nach Gummi. Schröder schraubt an Fahrrädern herum. „Die Gangschaltung ging nicht mehr. Ich mache gerade die Nabe sauber. Dann dürfte es eigentlich wieder funktionieren“, erklärt der 19-Jährige. Er lernt hier beides: Wie man Fahrräder verkauft und wie man sie repariert. Rainer Schlaphoff, Besitzer der Fahrradgalerie, hat bisher immer einen Azubi gehabt. Immer Männer. Frauen bewerben sich bei ihm nie. Der Chef ist sich aber auch nicht ganz sicher, ob er nicht doch Berührungsängste hätte.

Dennoch wird er von der Industrie- und Handelskammer gelobt, weil er überhaupt Lehrlinge hat. „Herr Schlaphoff engagiert sich seit 1998 in der Ausbildung. Wir finden es sehr gut, wenn auch sehr kleine Betriebe diesen Schritt machen“, lobt Anja Nußbaum, Bereichsleiterin für Bildungspolitik der IHK.

400 Fahrradläden gibt es in Berlin, doch nur 30 bilden aus. Schlaphoffs Azubis haben somit eine gute Perspektive. Nach ihrer Lehre bekamen eigentlich alle eine Stelle: wenn nicht bei ihm, dann anderswo. „Die Szene kennt sich. Die wissen, was einer kann, wenn er von hier kommt.“

Schlaphoff will aber auch schon wissen, was einer kann, bevor er zu ihm kommt. Ludwig Schröder hat schon als Schüler in den Ferien hier mitgearbeitet. Alle Azubis waren vor ihrer Ausbildung mindestens einen Monat zur Probe in dem Laden. „Das muss hier menschlich passen“, meint der Chef.

„Ich finde es gut, sich die Leute selbst heranzuziehen“, begründet Schlaphoff sein Engagement. „Da habe ich dann einen Mitarbeiter, der das erfüllt, was ich erwarte.“ Erziehung ist in seinen Augen angebracht: Auch er klagt über die katastrophale Schulbildung der Jugendlichen, über Null-Bock-Mentalität und mangelnde Allgemeinbildung. Bisher hat er jedoch immer einen geeigneten Azubi gefunden. Vielleicht weil er nie nach ihnen gesucht hat. Die melden sich von selbst.

Rogge Spezialbau

Alle vier bis sechs Wochen trifft sich Geschäftsführer Klaus-Dieter Müller mit den gewerblichen Azubis. 12 bis 14 Azubis sitzen dann im Büro in der Nähe des Plötzensees und bekommen vor Schreck den Mund nicht auf, wie Müller schildert. „Die haben ja meist fachliche Defizite. Ich wäre froh, wenn die Azubis mich dann fragen würden.“ Trotzdem hält Müller die Treffen für wichtig. Zumindest die Berichtshefte kann er dann kontrollieren.

Fünf neue Azubis werden jedes Jahr in der mittelständischen Firma aufgenommen: Zwei Stuckateure, zwei Trockenbaumonteure, die lernen leichte Trennwände oder tiefer gehängte Decken zu bauen, und ein kaufmännischer Azubi. Die Handwerk-Azubis kommen erst nach fast einem Jahr in die Firma. Bis dahin haben sie im überbetrieblichen Lehrhof alle Ausbildungsbereiche des Baubetriebs gestreift.

In der Branche allgemein sieht es schlecht aus. „Doch es gibt noch Baubetriebe, die ausbilden können und auch davon profitieren“, sagt Almuth Draeger von der Handwerkskammer Berlin. Schon deshalb habe die Firma Rogge ein Lob verdient. Zudem habe sie interessante Projekte, das sei für die Azubis spannend.

Stuckarbeiten im Bode-Museum etwa oder im Luxus-Hotel, Restauration denkmalgeschützter Häuser, Putzarbeiten am Reichstag: Niemand muss hier jahrelang nur Wände aus Gipskarton herstellen.

„Die anderen Firmen bilden nicht aus, weil ihnen dafür die Aufträge fehlen“, sagt Müller. Ein Azubi muss nun bereits am ersten Tag nach seiner Ausbildung in der Lage sein, 12,47 Euro pro Stunde zu erwirtschaften. „Das ist für viele Unternehmen zu riskant“, meint Müller. Er klagt über die vielen Ich-AGs im Baubereich, die mit Minijobbern arbeiten. Müller fühlt sich da etwas vernachlässigt von der Politik. Doch er ist niemand, der es beim Jammern belässt: Seiner Meinung nach sollten die Bezirke Rahmenverträge nur noch an Betriebe vergeben, die nachweisen können, dass sie ausbilden.

Mercedöl Feuerungsbau

Rico Hauenschild (18) und sein Chef teilen sich ungefähr 3,5 Quadratmeter. Eine Wohnung im Seniorenheim wird komplett saniert. Die zwei Handwerker kümmern sich um das Bad: Fließen und neue Sanitäranlagen einbauen. 14 Tage sind dafür kalkuliert. Da muss die Zusammenarbeit stimmen. Hauenschild ist im zweiten Lehrjahr zum Anlagenmechaniker für Heizungs-Sanitär-Klimatechnik. Angefangen hat er als Heizungsbauer, wie sein Opa einst, der auch schon für Mercedöl gearbeitet hat. Inzwischen wurden die Ausbildungsgänge zusammengelegt.

Bisher arbeiteten immer 22 Azubis im Unternehmen. Nun sollen es sogar 25 sein. Als Mercedöl vor zwei Jahren die Plätze um vier aufstocken wollte, legte die Handwerkskammer zunächst ein Veto ein. Argument: So viele Azubis könne die 120-köpfige Firma nicht betreuen. „Und dabei ist bei uns die Ausbildung so qualifiziert, dass die Azubis den Lehrplänen der Handwerkskammer immer weit voraus sind“, sagt Claudia Gumley, zuständig für die Ausbildung bei Mercedöl. Trotz der hohen Azubiquote erhielten bis vor wenigen Jahren alle nach der Lehre eine unbefristete Stelle. Heute sind es immerhin noch Zweidrittel.

Und die Handwerkskammer lobt nur noch „die sehr hohe Ausbildungsquote des modernen und umweltfreundlichen Betriebs“. Und Almuth Draeger kennt noch einen weiteren Pluspunkt der Firma: „Mercedöl bildet regelmäßig Frauen im Heizungs- und Sanitärbereich aus.“

Rico Hauenschild gibt zu, anfangs schon verblüfft gewesen zu sein, hier auch auf weibliche Kollegen zu treffen. „Damit hätte man nicht gerechnet“, meint er. Künftig will Mercedöl sogar eine separate Kundendienstabteilung einrichten, die nur aus Frauen besteht. Den Kundinnen zuliebe. Momentan wird aber noch händeringend nach einer Frau gesucht, die sich zur Heizungs- und Sanitärfachfrau ausbilden lassen will. Um sich diese Sorge künftig zu ersparen, hat Mercedöl am diesjährigen Girls Day teilgenommen. 12- bis 14-jährige Mädchen haben das Unternehmen in Pankow besucht. Löten, Schweißen und Fliesen haben sie gelernt. Angeleitet wurden sie von den Azubis.