Atheistisch im „gottlosen Berlin“

Hiesige Atheistenverbände erhalten zwar viel Geld vom Land und erreichen viele Menschen, so die neue Studie eines evangelischen Forschers. An Mitgliedern fehlt es aber – und sie werden geschnitten

von PHILIPP GESSLER

Es ist ein hartes Brot: Als der Landesverband des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) vor zwei Jahren zu seiner Jahrespressekonferenz einlud, verirrte sich gerade mal ein Journalist in die Veranstaltung – er war von der Katholischen Nachrichtenagentur KNA. Und dessen Meldung druckte kaum jemand.

Nun passiert das nicht wenigen Verbänden – aber der HVD ist keine unwichtige Institution in der Stadt: Er erreicht nach eigenen Angaben mit seinen Aktivitäten wie „Jugendfeiern“, Kitas und „Lebenskunde“-Unterricht pro Jahr etwa 130.000 Menschen an der Spree. Warum dieses öffentliche Desinteresse in einer Stadt, die als „Welthauptstadt des Atheismus“ gilt – so was wie das Paradies jedes Kirchenkritikers?

Der Pfarrer und Atheismusexperte Andreas Fincke hat sich auch mit dieser Frage beschäftigt und zum Problem gestern eine Studie vorgestellt, die Antworten geben kann. Dazu muss man wissen: Fincke ist Partei. Er arbeitet an der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.

Diese Institution der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beobachtet den Markt religiöser Bekenntnisse und Sekten. Er kommt, zusammengefasst, in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis: Obwohl die Stadt so säkularisiert ist wie kaum eine andere Metropole, können die Atheistenverbände kaum davon profitieren. Bundesweit dümpelt ihre Mitgliederzahl bei etwa 20.000 herum – und das, obwohl ein Drittel der Deutschen keiner Religion angehören.

In Berlin ist die Lage vergleichbar. Dennoch bekommt etwa der HVD jedes Jahr 582.000 Euro vom Land überwiesen. Pro Kopf sind dies mehr als 150 Mal mehr als die Kirchen (siehe Interview). Und das, je nach Rechnung, bei nur zwischen 1.000 und 3.000 Mitgliedern an der Spree. Wie ist das zu rechtfertigen?

Der HVD-Landesgeschäftsführer Manfred Isemeyer meint, hier würden „Äpfel mit Birnen verglichen“. Die jährlich 582.000 Euro vom Land seien eine „institutionelle Förderung“, denen Millionenbeträge an die großen Kirchen gegenüberstünden. Dies seien Landeszahlungen, die noch heute mit der staatlichen Enteignung des Kirchenbesitzes vor etwa 200 Jahren gerechtfertigt würden.

Und die Studie, die Fincke als Startschuss eines Dialogs der Kirche mit den vielen Atheisten in Stadt und Land versteht, kommt so bei Isemeyer nicht an: Herr Fincke, meint er, sei ja ein freundlicher Mann – „aber alle Signale, die wir von offizieller kirchlicher Seite bekommen, bedeuten das genaue Gegenteil“. Selbst im gottlosen Berlin haben es Atheisten nicht leicht.