„Trainerwechsel ist wie Würfeln“

Der Sportpsychologe Bernd Strauß hat 10.000 Bundesligaspiele untersucht und dabei festgestellt, dass eine Trainerentlassung keineswegs Erfolg garantiert. Ganz im Gegenteil: In den meisten Fällen bleibt alles beim Alten

taz: Friedhelm Funkel, Kurt Jara, Erik Gerets, Willi Reimann – Herr Prof. Strauß, wer fliegt als Nächster?

Prof. Bernd Strauß: Das hängt zum einen davon ab, wie die Situation im Verein ist, aber auch ganz entscheidend davon, ob sich Erfolge oder Misserfolge einstellen. Und die Bewertung, was Erfolg oder Misserfolg ist, hängt wiederum von den Erwartungen ab. Wenn ein Verein damit gerechnet hat, in der Abstiegszone zu stehen, kann er auch etwas länger damit leben.

Wer erscheint Ihnen aus wissenschaftlicher Sicht am gefährdetsten?

Die größte Gefahr besteht bei Trainern, bei denen eine Niederlagenserie eingetreten ist. Ewald Lienen ist dafür ein ganz klassischer Fall: viermal hintereinander verloren – und schon werden die Verantwortlichen im Verein nervös.

Dabei, das haben Sie in Ihrer Studie gerade nachgewiesen, sind Trainerwechsel sinnlos.

Nein, das ist nicht ganz richtig. Es gibt durchaus Fälle, wo Trainerwechsel Sinn machen.

Nämlich?

Wenn ein leitender Angestellter schlechte Arbeit leistet, dann ist es sinnvoll, sich von ihm zu trennen. Das gilt auch für einen Fußballtrainer.

Wer entscheidet, ob ein Trainer gute Arbeit leistet oder nicht?

Das ist das Problem. Es wird alles am sportlichen Erfolg oder Misserfolg gemessen, das ist meistens das einzige Kriterium. Dabei wird übersehen, dass auch die Mannschaft eines schlechten Trainers mal ein paar Spiele gut spielen und gewinnen kann, aus welchen Gründen auch immer.

Und plötzlich wird der schlechte Trainer für gut befunden?

Und umgekehrt wird ein guter Trainer schnell zu einem schlechten, wenn er ein paar Spiele hintereinander verliert. In dieser Situation, wenn sie keine weiteren Parameter als eben Erfolg oder Misserfolg haben, um die Qualität eines Trainers zu beurteilen, ist es sinnlos, einen Trainer zu entlassen. Das ist dann wie Würfeln, ein Glücksspiel.

Gründe, warum ein Trainer ein schlechter Trainer war oder ist, finden sich doch immer.

Stimmt. Vor allem im Nachhinein, frei nach dem Motto: Wir haben’s ja schon immer gewusst.

Was genau haben Sie in Ihrer Studie untersucht?

Wir haben die Ergebnisse von über 10.000 Bundesligaspielen ausgewertet und uns angeschaut, zu welchem Zeitpunkt ein Trainer entlassen wurde. Die 12 Spieltage davor und danach haben wir dann näher unter die Lupe genommen. Parallel dazu haben wir uns Kontrollvereine gesucht, soll heißen: Wenn ein Verein x auf dem 15. Platz stand und seinen Trainer entlassen hat, haben wir, wenn’s möglich war, auch die Entwicklung der Vereine, die auf dem 14. und 16. Platz standen und den Trainer nicht entlassen haben, untersucht und geschaut, was bei denen im gleichen Zeitraum geschehen ist.

Und?

Im Grunde passiert dort ganz Ähnliches – und am Ende haben alle wieder den gleichen Level.

Konnten Sie ein Entlassungsschema feststellen?

Die gravierendste Situation sind mehrfache Niederlagen hintereinander. In den meisten Fällen brach die Leistung der Mannschaft fünf Spieltage vor der Trainerentlassung dramatisch ein, 70 Prozent rangierten im letzten Tabellendrittel.

Und wie geht die Geschichte statistisch gesehen weiter, also mit neuem Trainer?

Häufig setzt der Trainerwechsel Kräfte frei, die sich in einem Aufschwung in der Tabelle widerspiegeln. Doch das ist nur von kurzer Dauer und liegt natürlich auch daran, dass das Team kaum mehr schlechter spielen kann als zuvor, die sind ja schon im Keller.

Und weil’s tiefer nicht mehr geht, geht’s kurz nach oben.

Genau. Irgendwann ist jede Negativserie einmal zu Ende, unter Umständen passiert das ausgerechnet mit dem neuen Trainer. Zwölf Spieltage nach dem Wechsel aber waren die Mannschaften meist wieder auf dem alten Leistungsniveau angekommen und keinesfalls besser als die Kontrollmannschaften. Im Gegenteil: Mannschaften, die den Trainer während der Saison gewechselt haben, sind nach der Studie signifikant häufiger abgestiegen als Teams, die in vergleichbarer Situation am Übungsleiter festgehalten haben.

Dennoch gibt es Trainer, die sich den Ruf als Retter erarbeitet haben, als Feuerwehrmänner. Man denke da nur an Jörg Berger oder Felix Magath.

Vielleicht haben die einfach nur besonderes Glück gehabt. Oftmals entscheidet sich das ja schon im ersten Spiel unter dem Neuen: Wird das gewonnen, fängt die Mannschaft an, wieder an sich und den Trainer zu glauben. Da verändert sich psychologisch eine ganze Ecke – und das ist in der Tat leistungssteigernd. Nur: Wenn die Mannschaft gleich das erste Spiel verliert, dümpelt sie weiter vor sich hin. Wie gesagt: Das ist wie Würfeln.

INTERVIEW: FRANK KETTERER