Industrie schimpft auf Industrie

Der BDI macht ausnahmsweise mal nicht die rot-grüne Regierung für die hohen Energiekosten verantwortlich. Die Stromkonzerne selbst geraten jetzt in die Kritik

Die Energieversorger treiben mit oligopolistischer Marktmacht die Preise nach oben

BERLIN taz ■ Das ist neu beim BDI, dem Bundesverband der Deutschen Industrie: Tatsächlich gibt es Dinge in der Wirtschaftswelt, an denen nicht die rot-grüne Regierung schuld ist. Sondern die deutsche Industrie selbst. In diesem Fall: die deutsche Energiewirtschaft. Werner Marnette, Vorsitzender des BDI-Energieausschusses, erklärte gestern: „Die Energieversorger treiben mit ihrer oligopolistischen Marktmacht die Preise nach oben.“ Freier Wettbewerb fehle.

Obwohl es Hessens Wirtschaftsminister Alois Rhiel also besser wissen könnte, warf der CDU-Politiker gestern die altbekannte Wahlkampfmaschinerie erneut an: „Die Strompreise sind hauptsächlich wegen der Ökosteuer und der Subventionen der Kraft-Wärme-Kopplung und der erneuerbaren Energien gestiegen.“ Die alte, längst widerlegte Mär (siehe Analyse Seite 12) könnte man getrost ignorieren, wäre damit nicht höchst aktuelle Politik verbunden. Rhiel kündigte an, dass die Union heute in die Ausschussberatungen des Bundesrates zu jenem Energiewirtschaftsgesetz Änderungsanträge einbringen will, das das Bundeskabinett im Juli auf den Weg gebracht hatte. „Der rot-grüne Gesetzentwurf sichert den Konzernen ungerechtfertigt hohe Gewinne auf Kosten der Verbraucher“, sagte Rhiel. „Die geplanten Preiserhöhungen der Konzerne zeigen, dass Deutschland eine schärfere Regulierung der Netzmonopole braucht.“

Aber das ist gut so: Tasächlich sieht das rot-grüne Gesetz eine Energie-Regulierungsbehörde vor, die nach dem so genannten Ex-post-Prinzip arbeitet. Anders als etwa auf dem Telekom-Markt müssen Gebühren nicht vorab zur Genehmigung vorgelegt werden, sondern es wird im Nachhinein geprüft, ob die Preisanhebung korrekt war.

Nicht nur Verbraucherschützer, wie der Bund der Energieverbraucher, kritisieren das, sondern auch die Bundesländer. So signalisierten bereits Bayern, das Saarland und Thüringen Unterstützung für Rhiels Vorstoß, im künftigen Energiewirtschaftsgesetz eine Vorabgenehmigung der Durchleitungspreise festzuschreiben.

In jedem Fall will Verbraucherministerin Renate Künast von den Konzernen Aufklärung über ihre Preisgestaltung. „Ich erwarte größtmögliche Transparenz von den Unternehmen“, erklärte die Grüne gestern. Die Versorger hätten „noch keine überzeugende Antwort“ auf die Frage gegeben, warum Öl, Strom und Gas immer teurer werden.

Aktuell jedenfalls scheint die „Schwarze-Peter-Debatte“ klar. „RWE etwa fährt seit geraumer Zeit mit dem Kerngeschäft Strom Quartal für Quartal Rekordgewinne ein“, so die grüne Energiepolitikerin Michaele Hustedt.

Nach einem Spitzentreffen des BDI mit Energieversorgern und Vertretern energieintensiver Branchen wandte sich das Spitzengremium der deutschen Industrie „in großer Sorge um die Zukunft der Energieversorgung des Standortes Deutschland“ an die Bundesregierung. Die sonst nur Gescholtenen sollen sich doch bitte „für eine dauerhaft sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen“ einzusetzen.

NICK REIMER