bücher für randgruppen : Zweierlei Reisen
Abenteuer, Reisen, Gefahren: Auch das ist heute noch möglich, aber wohl immer anders als erwartet. Zwei Tage vor meinem Flug nach Island weilte ich mit meinem Freund im schönen Brandenburger Land, am Kölpinsee bei Lehnin, um dort einen lauschigen Sommerabend zu verbringen. Wir passierten drei kleine, ausnahmslos mit reichlich DVU-Plakaten geschmückte Dörfer. Am Ufer des zauberhaften Sees angelangt, flog plötzlich eine Bierflasche in unsere Richtung. Ein Dutzend junger Männer zwischen 16 und 25 baute sich drohend vor uns im Halbdunkel auf, Taschenlampen frontal auf uns gerichtet. „Früher war hier alles schöner“, erfuhren wir, da gab’s hier nämlich keine „Berliner“. Aus den „Berlinern“ wurden schnell „Schwule“, die hier unerwünscht seien. In letzter Sekunde gelang es uns, ohne größere Blessuren mit den Rädern in die Nacht zu flüchten. Später lasen wir von einer „Wehrsportgruppe Freikorps“ aus der Region und erinnerten uns an den Sommernachtsalbtraum. Eigentlich hatten wir kaum damit gerechnet, da einigermaßen unbeschadet herauszukommen.
Hier nun, auf Island, käme wohl kaum jemand auf den Gedanken, Besucher zu bedrohen, weil sie nicht aus dem Nachbardorf stammen oder gar aus dem Ausland. So bleibt nur die Peinlichkeit, umgekehrt isländische Besucher weiterhin vor den hiesigen Gefahren, den „no go“-Areas inBrandenburg, warnen zu müssen, während wiederum Isländer Besucher ihres Landes lediglich davor zu warnen brauchen, die Hand ins Wasser des Geysirs zu stecken oder den markierten Wanderweg zu verlassen.
Glücklich also, die Gefahren einer Reise in die nähere Umgebung Berlins überlebt zu haben, liege ich nun 2.380 Kilometer nördlich beim Jahrhundertrekord von 26 Grad auf einem Rasen in Reykjavík. Zur Hand den Reisebericht des Thüringers Caspar Schmalkalden, verfasst in den Jahren 1642 bis 1652. Seine Reisen führten den Soldaten in holländischen Diensten um das Kap der Guten Hoffnung, durch die Meerenge von Sumatra bis hin nach Japan und über den Atlantischen Ozean bis nach Chile. Die Fahrten wurden seinerzeit mit hölzernen Segelschiffen unternommen, die vom Wind angetrieben wurden. Gab es keinen Wind, entstanden gefährliche Situationen. Aber auch sonst waren solche Reisen alles andere als angenehm und komfortabel. Trotzdem fand Schmalkalden offensichtlich die Muße, seine Beobachtungen in ein Reisebuch zu schreiben und mit allerlei hübschen Zeichnungen zu illustrieren. Die Handschrift lag lange Jahre im Archiv der Bibliothek Gotha, dann wurde sie durch Herausgeber Wolfgang Joost in der auf historische Reisen spezialisierten Edition Erdmann herausgebracht. Schmalkaldens Bericht ist auffällig nüchtern, fast sachlich gehalten.
So beschreibt er einige Völker Südamerikas und Asiens, ihr Aussehen, ihre Kultur, die Städte der Kolonialisten, den Prozess der Zuckergewinnung, fremde, nie gesehene Tiere und Pflanzen. „Das Kamelschaf ist zahm und willig zur Arbeit. Wenn man es aber über seine Zeit treibt, dass es müde wird, steht es still und ist mit keinen Schlägen fortzubringen, sondern man muss es streicheln und ihm gute Worte geben. Sonsten, wenn es trotzig wird, speit es seinen Meister unflätig an.“
Das liest sich sehr unterhaltsam und anregend, manchmal rätselt man kurz, welche Frucht, welcher Vogel, welcher Baum hier wohl beschrieben wird, aber schließlich erkennt man sie fast alle. Eine Frucht, deren Geschmack „sehr anmutig“ ist und den „reifesten Erdbeeren“ gleicht, entpuppt sich als Ananas, der Pisang, die „liebliche und anmutige Frucht“, die „schön gelb und mürbe ist wie gesottener Eidotter“, als Banane. Das zergeht auf der Zunge wie der süßlich-fruchtige Geschmack der Gartentomaten, die zum privaten Verkauf in den brandenburgischen Dörfern an der Straße feilgeboten werden. WOLFGANG MÜLLER
Caspar Schmalkalden: „Mit Kompass und Kanonen“. Edition Erdmann, Lenningen 2004, 240 Seiten, 22 Euro